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Die Zukunft der deutschen Kolonien / hrsg. von Adolf Grabowsky und Paul Leutwein
Entstehung
Seite
18
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Nationale Arbeit und Kolonialpolitik/Ludwig Quessel

i.

Wohl kein Teil unserer staatlichen Wirksamkeit hat solange und so schwer um allgemeine Anerkennung ringen müssen, wie die Kolonialpolitik. Man kann vielleicht sogar sagen, daß erst die englische Hungerblockade kommen mußte, um weiten Kreisen des Volkes die Augen über die große Bedeutung der Kolonialwirtschaft zu össnen. Als ein wichtiges Erlebnis des Krieges wird man es besonders bezeichnen können^ daß wir in drei Kriegsjahren klar erkenne« gelernt haben, wie sehr auch die Landwirtschaft auf die Kolonialwirtschaft angewiesen ist. Wir hören aus der Schweiz, daß dort stellenweise die Milch- und Buttererzeugung bis aus die Hälfte der früheren Erträge gesunken ist, weil die Entente die Zufuhr von kolonialen Edelsutter- mitteln verhindert. Sehr bedeutend ist auch der Ausfall bei der schweizerischen Fleischerzeugung geworden, weil zur Auszucht von Jungvieh und besonders zur Mast die stark eiweiß- und ölhaltigen kolonialen Futtermittel nicht entbehrt werden können. Daraus ergibt sich aber auch, wie unbillig jene Forderung breiter Konsumentenkreise war, daß unsere Landwirtschaft im Kriege in bezug auf Fett-, Milch- und Fleischerzeugung dasselbe leisten müsse wie in Friedenszeiten. Tatsächlich machte sich schon im ersten Kriegsjahr der Mangel an kolonialen Edelfuttermitteln überall empfindlich bemerkbar und führte schon damals zu einem erheblichen Rückgang der Milch- und Buttererzeugung, wie sie jetzt aus demselben Grunde in allen neu­tralen Staaten in Erscheinung tritt. Schwer lastete vom ersten Tage des Krieges an die britische Seeherrschaft auch auf der deutschen Landwirtschaft, und selbst das große technische Können und der hingebende Fleiß unserer landwirtschaftlichen Bevölkerung war außer stände, ihre Wirkungen ganz zu beseitigen.

Die Bedeutung der Kolonialwirtschaft für Viehzucht und Ackerbau muß deshalb die Auf­merksamkeit der Öffentlichkeit in erster Linie in Anspruch nehmen, weil von diesen Zweigen der nationalen Arbeit die physische Existenz der Nation abhängt. Kein Volkswirt wird heute den europäischen Kontinentalvölkern mehr den Rat erteilen, dem Beispiel Englands zu folgen und ihre Lebensmittelversorgung zum überwiegenden Teil von überseeischen Zu­fuhren abhängig zu machen. Seit die Vereinigten Staaten in die Reihe derjenigen Mächte eingetreten sind, die auf den Massenbezug von Nahrungsmitteln tierischer Herkunft aus Süd­amerika angewiesen sind, wissen wir, daß die Nahrungsmitteldecke der Menschheit so knapp geworden ist, daß jede Nation im eigenen und im Menschheitsinteresse alle Ursache hat, die produktive Kraft ihres Bodens für die Volksernährung voll und ganz auszunutzen. In voll­kommener Weise kann diese Aufgabe aber nur gelöst werden, wenn der Landwirtschaft zu diesem Zwecke möglichst große Mengen kolonialer Futtermittel zugeführt werden, die wegen ihres großen Gehalts an Eiweiß und Ol die rationellste Ausnutzung der aus heimischem Boden gewonnenen eiweißarmen Futterstoffe ermöglichen. Man kann. Wohl sagen, daß aus der sinnvollen Verwendung heimischer und kolonialer Futterstoffe die großen Erträge unserer Landwirtschaft an Butter, Milch und Fleisch hervorgegangen sind. Unsere nationale Arbeit auf landwirtschaftlichem Gebiet hätte nicht die großen Erfolge zeitigen können, wenn ihr nicht die Kolonialwirtschaft zur Seite gestanden hätte. Wer in unserer Reichsstatistik danach forscht, von wo wir die 7,4 Milliarden Kilo Futtermittel herbekamen, die unsere Landwirtschaft 1913 zur Erhöhung ihrer Produktion verwendete, der wird leicht feststellen können, daß der weitaus größte und wertvollste Teil davon der Kolonialwirtschaft der Neuländer zu danken ist. Mais,