Unsere koloniale Zukunft / Paul Leutwem
Wie schon der Herr Staatssekretär in seinem Briefe an Dr. Grabowsky bemerkt, verfolgt dieses Kolonialheft zunächst den Zweck, „zur Belebung und Vertiefung des kolonialpolitischen Verständnisses und zur Stärkung des kolonialpolitischen Wollens beizutragen". Darüber hinaus sollen aber Richtlinien für unsere koloniale Zukunft gezeichnet werden, wie sie sich eine Anzahl klar denkender und erfahrener Politiker vorstellen.
Dementsprechend nehmen Betrachtungen umfassender Art den größten Teil des Raumes ein. Sie weisen fast alle auf das vielbesprochene und nun zum Gemeingut aller Kolonialfreunde gewordene Mittelafrika hin. Es ist nicht ohne Reiz, festzustellen, daß unser verehrter Vorkämpfer Carl Peters, den undankbare Volksgenossen vor zwanzig Jahren seine „maßlosen" und später als so richtig erkannten Kolonialerwerbungen und seine „uferlosen" und nachher glatt verwirklichten Flottenpläne so bitter büßen ließen, jetzt mit einer Forderung von 5 Millionen Quadratkilometer Mittelafrika fast bescheiden erscheint. Wesentlich weiter geht Emil Zimmermann, der Teutsch-Mittelafrika auf 7—-8 Millionen Quadratkilometer annimmt und sich dabei offenbar auf die bekannte geographische Feststellung Hugo Marquardsens im Heft 2 des XXX. Jahrgangs der „Mitteilungen aus den deutschen Schutzgebieten" stützt. Legt sich auch der sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Dr. Quessel nicht auf eine bestimmte Größenangabe fest, so geht doch aus seinen eindringlichen Berechnungen klar hervor, daß auch er und seine Parteifreunde ein ähnlich umfangreiches Mittelafrika im Auge haben. In gleicher Richtung bewegt sich die überzeugende Wirtschaftsbetrachtung von Dr. Karstedt. Auch die Erörterung des Problems „Deutsch-Ostafrika im Rahmen des indischen Ozeans" fußt auf mittelafrikcinischer Grundlage. Dieser Aufsatz beleuchtet im übrigen schlaglichtartig die nicht überall voll gewürdigte Gefahr einer völligen Beherrschung des indischen Ozeans durch England. Begeben wir uns hier unserer Machtstellung, so ist an eine solche im Pazific schon gar nicht zu denken und England bleibt jederzeit in der Lage, unseren Handel nach Indien, den großen Sundainseln und dem fernen Osten auszuschließen.
Angesichts der überragenden Bedeutung des Problems der Vereinheitlichung unseres afrikanischen Besitzes wurde bewußt aus Einzelschilderungen unserer bisherigen afrikanischen Kolonien verzichtet. Die Südsee hat dagegen eine gesonderte Behandlung erfahren. Einmal fühlten sich diese Kreise hinter der in der Öffentlichkeit überwiegenden Behandlung der Mittel- asrikafrage zurückgesetzt, und dann bietet der Stille Ozean einen Komplex besonderer Fragen, die allerdings auch nur im Rahmen unserer gesamten kolonialen Zukunftsprobleme gelöst werden können. Es blieb den Verfassern der beiden Südseeaussätze überlassen, diesem übergeordneten Gesichtspunkt in ihrer Weise Rechnung zu tragen.
Die besondere Berücksichtigung der Schutztruppen entspricht der historischen Entwicklung und war außerdem ein Gebot der Gerechtigkeit. Haben doch diese Truppen, denen die Eroberung, der erste Aufbau, die Verwaltung in den unsicheren Landesteilen und schließlich die Verteidigung samt der dazu gehörigen Organisation und politischen Kriegführung oblag, in ihrem kleineren Nahmen vielseitigere Aufgaben zu bewältigen gehabt, als unsere heimische Armee in Krieg und Frieden. Das geringe Maß von Dankbarkeit, das ihnen die Heimat für ihre aufopferungsvolle umfassende Betätigung jederzeit darbrachte, ließ die gesonderte Betrachtung erst recht notwendig erscheinen. Da die Schutztruppen gleichzeitig die Verkehrspioniere sind, ergab sich die Anfügung des eigentlichen Aufsatzes über „Das koloniale Verkehrswesen" an diesen Abschnitt von selbst. Hierbei erschien es am angezeigtesten, auf der Grundlage der in der Vorkriegszeit geleisteten Arbeit den Leser sich selbst ein Urteil über die Größe unserer Zukunftsaufgaben «uL diesem Gebiete gewinnen zu lassen.