Druckschrift 
Die Zukunft der deutschen Kolonien / hrsg. von Adolf Grabowsky und Paul Leutwein
Entstehung
Seite
9
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Das neue kolonialpolitische Zeitalter / Adolf Grabowsty

Vor kurzem erschien ein umfangreiches Buch mit dem TitelDas Ende des kolonial­politischen Zeitalters" (Leipzig 1917, Fried. Wilh. Grunow). Der Verfasser, Dr. Karl Hoffmann, bemüht sich, darin nachzuweisen, daß die alte Methode der Kolonialpolitik der Vergangenheit angehöre. Ihm erscheint das rein überseeisch ausgeführte, das um seiner selbstwillen betriebene Kolonialwesen als eine überwundene Sache, und er fordert statt dessen organisch gewordene, von Natur und Geschichte gegliederte Lebenskomplexe. Falls die deutsche Nation, so meint er, zu entscheiden habe, was sie schassen wolle, ob ein Kolonialreich nach der alten Methode oder das Reich der mitteleuropäisch-balkanisch-türkischen Wirtschaftsgemeinschaft, so müsse sie sich für das Mitteleuropa-Imperium erklären. Dieses EntwederOder ist für die gesamte neueste Behandlung des Kolonialproblems charakteristisch. Entweder vergißt man die Kolonien über Mitteleuropa, oder man hat einzig und allein überseeische Gebiete und überseeische Handels­beziehungen im Sinn. Aber das ist noch nicht einmal das Verhängnisvollste. Viel schlimmer ist die Ansicht, als ob Kolonialpolitik jede organische Weltpolitik einfach verbiete. In diesem Irrtum bewegt sich Hosfmcmn von Anfang bis zum Ende seines Buches. Das aber heißt von der bisherigen Kolonialpolitik Teutschlands kurzweg auf die künftige Kolonialpolitik schließen. Ohne weiteres ist zuzugeben, daß alle Kolonialpolitik, die wir bis zum Kriege betrieben haben, verzettelt und deshalb im höheren Verstände unfruchtbar gewesen ist. Wie konnte aber auch aus einer rein zufälligen Erwerbung hier eines kolonialen Stückes und dort eines kolonialen Stückes eine Kolonialpolitik erwachsen, die mehr war als ein barocker Ausläufer der heimischen Wirtschaft! Unsere Kolonien sind ja nicht nach systematischem Plane entstanden, sondern haben sich zufällig ergeben, wo gerade noch ein Stück afrikanischen oder polynesischen Bodens frei war. Die englische Kolonialpolitik aber hatte dies Frühstadium jeder Kolonialpolitik längst überschritten; längst hatte man um es mit einem Wort zu sagen jenseits des Kanals begonnen, Imperialismus statt Kolonialpolitik zu betreiben.

Kolonialpolitik ist nicht etwa, wie es Hofsmann annimmt, eine Form des Imperialismus, sondern Imperialismus und Kolonialpolitik üblicher Art sind Gegensätze. Während diese Kolonialpolitik sich mit unorganischen Landerwerbungen Übersee begnügt teils um kolonialen Raubbau vorzunehmen, teils lediglich des Prestiges wegen, hier und da auch angestachelt durch die Missionen bedeutet Imperialismus organisches Weltmachtstreben. Seit dem im Jahre 1866 erschienenen Werke von Charles Wentworth DilkeOreater Lritain" hat sich in England der Gedanke des organischen Weltmachtstrebens verbreitet.Wenn man", so heißt es in diesem Buche,aus Höflichkeit zwei Inseln ,Groß< nennt, dann sind Amerika, Australien, Indien offen­bar .Größeres Britannien'." Mit anderen Worten: Nicht mehr die Antithese hier England, hier Kolonien, sondern der innige Zusammenhang der beiden unter dem Titel eines Größeren Britanniens wird erklärt. So leuchtend dieser Gedanke auch war, er hat sich nicht ohne heftige oder verkappte Widerstände in England durchgesetzt. Mit Recht macht Felix Salomon in seiner lehrbuchähnlichen SchriftDer britische Imperialismus" (Leipzig 1916, B. G. Teubner) darauf aufmerksam, daß Disraeli, so sehr er auch Wortführer dieser organischen Weltausbreitung wurde, doch in der Praxis sich einseitig meist mit Indien besaßt hat. Auch Dilke hat noch nicht die Notwendigkeit des politischen Zusammenschlusses von Mutterland und Kolonien klar gesehen, ihm stand die Kulturgemeinschaft am nächsten. Erst der Professor der Universität Cambridge Sir John Robert Seeley hat in der Schrift ,,^Ke Expansion ok An^larrä" diesen festen Zusammenschluß deutlich vorgezeichnet, und jetzt trat auch erst als praktische politische