Die Zukunft der evangelischen Missionen im deutschen Kolonialreich / Julius Richter
Im allgemeinen Rahmen von Erwägungen über die Aussichten einer deutschen Kolonial bewegung nach dem gegenwärtigen Weltkriege dürfen auch Betrachtungen über die mutmaßliche Zukunft der evangelischen und der katholischen Mission nicht fehlen, so gänzlich unsicher fast alle dabei in Betracht kommenden Faktoren sind, und so wenig vorteilhaft es erscheint, angesichts der immer noch verworrenen Weltlage den Propheten spielen zu wollen. Um uns von vornherein auf den Boden der Tatsachen zu stellen versuchen wir zunächst einen Überblick über den Umfang der evangelischen Mission im Bereich der deutschen Kolonien vor dem Ausbruch des Krieges in Verbindung mit einer Überschau über die furchtbaren Schäden, die der Krieg verursacht hat, zu geben.
I. Die deutsche evangelische Missionsbewegung ist um reichlich anderthalb Jahrhunderte älter als das deutsche Kolonialreich. Sie reicht zurück bis in die Ansänge des 18. Jahrhunderts. Seit dem Jahre 1706 wurden vom halleschen Pietismus in Verbindung mit der Krone Dänemark deutsche Missionare in die ehedem berühmte trankebarische Mission im Tamulenlande in Südindien ausgesandt. Seit 1732 nahm die kleine, überaus missionseifrige Brüdergemeine des frommen Grafen Nikolaus Zinzendorf in Herrnhut in fast sich überstürzender Hast ein Missionsgebiet nach dem anderen in allen Erdteilen in Angriff. Seit dem Jahre 1815 sind in schneller Folge die großen Missionsgesellschaften entstanden: die Basier, die Berliner, die Barmer, die Bremer, die Leipziger, die Hermannsburger, in welchen der Schwerpunkt und die Hauptkraft des deutschen evangelischen Missionslebens liegt. Alle diese Gesellschaften hatten demnach bereits eine geraume Zeit Missionsarbeit getrieben, hatten reiche Missionserfahrung gesammelt und waren durch Gemeindegründungen, Stationsanlagen wirtschaftliche Unternehmungen, Schulgründungen und was sonst zum Betriebe vielseitig sich ausgestaltender Missionen gehört, mit einem großen Teil ihrer Kraft und ihres Personals festgelegt, ehe die deutsche Kolonialbewegung ins Leben trat. Trotzdem sind die deutschen Missionsgesellschaften eine nach der anderen auch in den deutschen Kolonien mit in die Missionsarbeit eingetreten. Die Rheinische Mission hatte bereits in Deutsch-Südwestasrika eines ihrer Hauptarbeitsgebiete und hat es vom Orcmjefluß bis zum Kunene gründlich und vielseitig ausgebaut. Sie hat außerdem in Kaiser-Wilhelms- Land ein zweites viele Opfer und große Geduld erforderndes koloniales Arbeitsfeld in Angriff genommen. Die Basler Mission übernahm auf den dringenden Wunsch der maßgebenden Führer des deutschen Missionslebens ein von der englischen Baptistenmission im Stiche gelassenes Arbeitsfeld in Kamerun und dehnte dazu ihre Goldküstenmission in die deutsche Togokolonie hinein aus. Die Betheler (Ostafrikanische) Mission suchte sich erst in verschiedenen Küstengebieten von Ostafrika, dann in dem schönen Hochlande von Usambara und neuerdings in dem dicht bevölkerten, aussichtsreichen Ruanda ihre Arbeitsfelder. Die Berliner Missionsgesellschaft setzte am Nordende des Njassa-Sees ein und nahm, von dort in nordöstlicher Richtung nach der Küste bei Dar-es-salam vordringend, eine Missionsprovinz nach der anderen in Angriff. Die Brüdergemeine begann gleichzeitig mit ihr im Konde-Lande am Nordende des Njassa, hatte aber ihren Zielpunkt in dem ihr von der Londoner Mission abgetretenen einsamen Missionsposten Urambo im Herzen von Deutsch-Ostafrika und entwickelte sich demnach vom Kondelcmde aus in der Richtung auf Unjamwesi nach Norden zu. Der Leipziger evangelisch-lutherischen Missionsgescllschaft fiel ein schönes, aussichtsreiches Missionsfeld in den Dschaggaland- schaften an den Abhängen des Kilimandscharo-Massivs, am Meru-Berge und im Pare- Hügellande zu. Die Norddeutsche Mission, die bereits vor der deutschen Besitzergreifung auf der Sklavenküste oearbeitet hatte, verlegte den Schwerpunkt ihrer Arbeit und weit-