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Die Deutschen im tropischen Amerika (Mexiko, Mittelamerika, Venezuela, Kolumbien, Ekuador, Peru und Bolivien) : mit Übersicht über die wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse dieser Länder / von Wilhelm Wintzer
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Frauenkultus. Größere gesellschaftliche Bewegungsfreiheit. :s. Heft.

Und nirgends in der U)elt liegt wohl weniger Grund vor, vor fremdem Mesen im Staube zu liegen als im spanischen Amerika. Ueber die kläglichen politischen Verhältnisse, wie sie sich aus dein Volkscharakter ergeben, ist schon gesprochen worden. Die spanische Liebenswürdigkeit und Höflichkeit, besonders gegen Damen, verschleiert nur der Phantasie geschickt eine große Geringachtung des weiblichen Geschlechts, das meist übrigens von Tharakter solider und tüchtiger ist als das männliche. Man behandelt die Frau als offizielle Geliebte wie einen in Matte zu packenden zerbrechlichen Gegenstand, um sie in der Ehe, wo sie sich aus dem rauschenden geselligen Leben der Bälle fast klösterlich in das Haus zurückzuziehen pflegt, dann oft schamlos zu betrügen. Der Deutsche ist zu ehrlich, um sich an den überschwänglichen Höflichkeiten spanischer Frauenverhimmelung be­teiligen zu können. Sein vielleicht oft nicht großes Maß von Ga­lanterie ist gesünder und wahrer als das spanische Uebermaß. Zu­dem wird der sittliche Mert der großen Höflichkeit gegenüber der Frau dadurch sehr herabgemindert, daß sie bei der Frau geringerer Stände sofort halt macht. U)eil in Deutschland sich Pöbel und Aristokratie nicht so schroff gegenüberstehen wie drüben, unterläßt man lieber jene in spanischen Ländern auch nur innerhalb der oberen Bevölkerungsschicht mögliche öffentliche Galanterie ganz. Nur in heiterer Lebensauffassung, graziösen: gesellschaftlichen Benehmen liebenswürdiger und eleganter äußerer Darstellung des Menschen, kurz an allseitig ästhetischem Sinn kann der oft etwas ungeschickte Germane noch immer von jeden: Romanen selbst unterer Stände lernen. Aber damit hört denn auch aus, was die Kultur des spanischen Amerika vor der deutschen voraus hätte. Denn die größere Vorur­teilslosigkeit und geistige Bewegungsfreiheit, die der Deutsche unter den spanischen Amerikanern genießt, liegen nicht in ihrer Rasse, sondern sind in den weitläufigen geographischen Bedingungen des Landes begründet. Man hat mehr Raum, sodaß man sich zur Kritik des lieben Nächsten, der einen: mit seinen Anschauungen und Gewohn­heiten so in: Mege ist, nicht in den: Maße aufgefordert fühlt, wie in: dichtbevölkerten Deutschen Reiche, das bei etwa s2 mal ge­ringerem Umfang doppelt so viel Einwohner zählt, als alle hier behandelten Länder. U)o man drüben eng zusammen- wohnt, ist der Klatsch nicht minder zu Hause und die Vorurteile, die man für die Bedeutung des eignen Landes hat, können oft nicht mehr übertroffen werden.

Aeußerst angenehm berührt außerdem, um gerecht zu sein, der geringe Einfluß, den drüben das Titel-, Rang- und Drdenswesen ausübt. Zeder den besseren Ständen Angehörige istDon" so und so, wobei nur der Vorname gebraucht wird. Der republikanische Ver­zicht auf die Titulaturen und die Nennung jedes Menschen in der Gesellschaft mit seinen: ehrlichen Namen läßt den schlichten Verkehr von Mensch zu Mensch in wohlthuender Meise fühlbar werden. Er trägt dazu bei, den: ganzen geselligen Leben ein persönlicheres Ge-