Druckschrift 
Die Deutschen im tropischen Amerika (Mexiko, Mittelamerika, Venezuela, Kolumbien, Ekuador, Peru und Bolivien) : mit Übersicht über die wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse dieser Länder / von Wilhelm Wintzer
Entstehung
Seite
7
Einzelbild herunterladen
 

15. L?eft. Liebensw. Grazie der fpan. Amerikaner. Beliebtheit der Deutschen. ?

Regierung sein möcht e. Zm Munde des spanischen ^lmerikaners, der gern um die nüchternen Dinge eine elegante Draperie wirft, sind es freilich ganz andere Gründe, die die Revolutionen veranlassen: Foederalismus oder Zentralisation, Zivilisation und Fortschritt, Feu­dalismus oder Alerikalismus, Freiheit, Gleichheit oder Anechtung u. s. w. Zn seiner lebhaften Einbildungskraft vermag jeder bessere spanische Amerikaner über all diese Themata ohne Schwierigkeit die schwung­vollsten Reden zu improvisieren; die Reden in die That umzusetzen, kommt ihm aber nicht bei.

Verkehr -er Deutschen urit den spanischen Ainerikanern; allgemeine Aulturverhältnisse im spanischen Amerika.

Die persönliche Liebenswürdigkeit und joviale Zuthulichkeit des spanischen Amerikaners dagegen, die sich zum großen Teil auch der Mischlingsrasse mitgeteilt hat, entzückt jeden Fremden. Es ist außer­ordentlich leicht, sein Freund zu werden und auf bestem Fuße mit ihm zu leben, wenn man aus seinen Ton eingeht und nur sein National- gefühl schont. Seine Liebenswürdigkeit geht so weit, daß er den­jenigen, mit dem er sich heute in den Armen lag, morgen nicht mehr kennt, weil ihm das ebenso Gewohnheit war, wie schlafen und Essen, daß er seinem Feinde in höflichster Weise schmeichelt, um sich, wenn er den Rücken kehrt, in oynischen Schimpfworten über ihn zu er­gehen. Nur wir Deutsche nennen Heuchelei, was allgemeine Lebens­gewohnheit unter Leuten ist, denen die äußere Glätte aus angebornem Schönheitssinn und angeborner Oberflächlichkeit das Hauptmerkmal der Bildung und das gesellschaftliche Lebenselement ist. Deshalb kommt eine tiefere Freundschaft mit einemDeutschen selten zu stände. Trotzdem ist der Deutsche beliebt vor dem Engländer und besonders dem Amerikaner wegen seiner größeren Amgänglichkeit und Zuthulichkeit. Er verzeiht dem spanischen Amerikaner gern die übergroße Höflichkeit und Hchrasen- haftigkeit, weil er selbst gut erzogen ist. Seine Gewandtheit im Verkehr mit dem spanischen Amerikaner gibt dem deutschen Aauf- mann einen ebenso großen Vorsprung vor dein amerikanischen, wie die Leichtigkeit und Bereitwilligkeit, mit der er die spanische Sprache erlernt und sich durch beides den Bedürfnissen der Fremden anzupassen versteht, während der Amerikaner und Engländer im Sprachenlernen eine ebensolche Anbeholfenheit zeigt, wie im Verstehen fremder An­schauungen und Sitten. Zm allgemeinen wendet der spanische

Amerikaner aus den Deutschen das Wort an, das ihm das höchste Lob bezeichnet: 68 nm^ Allerdings wird jene Anpassungs­

fähigkeit dem charakterschwachen Deütschen gleichzeitig zum Fluch. Er zieht seine Nationalität schließlich ganz aus und den fremden Alltel an, der ihm doch nicht paßt. Nur der wirklich gebildete Deutsche findet den Mittelweg zwischen charakterloser Anbetung des Fremden und unliebenswürdiger und verständnisloser Abweisung des­selben, der nicht leicht zu finden ist. Der erstere Fehler, sein Volkstum aufzugeben ist der bei weitem häufigere.