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Die Deutschen im tropischen Amerika (Mexiko, Mittelamerika, Venezuela, Kolumbien, Ekuador, Peru und Bolivien) : mit Übersicht über die wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse dieser Länder / von Wilhelm Wintzer
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Soziale Verhältnisse. Korruption, politische Parteien. ^5. Heft.

früher alles vom Mutterland, so heute von diesem und dem übrigen Aus- land eingeführt zu sehen. Industrie fehlt fast ganz. Nur im Handel darf man daher von einem gewissen Mittelstand reden, auf den sich aber keine Regierung stützen kann. Reichtum und Armut stehen sich nirgends krasser gegenüber als in den spanisch-amerikanischen Ländern. Es gibt eigentlich nur zwei Stände: Die Großgrund- und Bergwerks­besitzer, die meistens auch die Gouverneure und Präsidenten der ein­zelnen Staaten oder Departements, ferner die höheren Beamten, Aerzte, Advokaten und Apotheker abgeben und die Masse des gleich­gültigen, besitzlosen, verkommenen Volkes der Land-, Gruben-, Haus- und Handarbeiter oder Faulenzer jeder Sorte. Der größte Teil dieser Leute arbeitet nur ausnahmsweise, da seine Lebensbedürfnisse mit Thile (span. Pfeffer), Frijoles (braunen Bohnen), rrm^ poco cle cnrve (wenig Fleisch), Mais, in H>eru und Bolivia gekauten Aokablättern, sonst ciZ-arro8 (Zigaretten) vollständig gedeckt sind. Die preise dieser Lebensmittel sind aber außer dein Fleisch lächerlich gering. So besteht ein bis zwei Drittel der Bevölkerung aus sog. peone8 (Landarbeitern) oder pelaclos (zu deutsch etwa Bettler, Lazzaroni) d. h. sehr schmutzigein Gesinde!, das meist gutmütig und liebens­würdig und keineswegs dumm aber höchst träge ist und planlos in den Tag lebt. Zwischen beiden Volksklassen kommt die Mittelklasse kleiner Besitzer, Aaufleute, Beamten, Lehrer und Handwerker kaum in Betracht. Trotz des klaffenden Risses zwischen diesen beiden sozialen Hauptschichten besteht doch das beste Einvernehmen unter ihnen. Dein unempfänglichen Indianer kommt es nicht bei, daß er ein Anrecht aus die Genüsse der Reichen haben könnte. Schon vor jedem besseren Anzug springt er demütig grüßend zur Seite. Jahrhundertelange Erziehung haben ihm beigebracht, daß er ein Mensch zweiter Alasse ist.

Unter diesen Umständen hat überall die Alasse das Heft in den Händen, in deren Adern das spanische Blut zu überwiegen pflegt. Nur ausnahmsweise sind reine (wie Iuarez in Mexiko) und Halb- indianer (wie H>. Diaz) am Ruder gewesen, in denen auch indianisches Blut war. Grade diese pflegten sich als sehr tüchtig zu erweisen. jDolitische Tugenden wie Treue, Arbeitskraft, umfassende Bildung, Tharakter- festigkeit, Aufopferungsfähigkeit sind nur ausnahmsweise anzutreffen. Jedes politische Amt gilt, ganz wie unter spanischer Herrschaft, als Geldquelle; Bestechlichkeit und Schweifwedelei sind Nationaleigenschasten, Durchstecherei und Erpressung werden deshalb gar nicht mehr bemerkt. Es würde grobe Taktlosigkeit sein, sie so zu benennen, wie es in Deutschland die unbequeme öffentliche Meinung thun würde. Wesent­lich begünstigt werden die Selbstbereicherungen des Beamtentums durch die täglich drohende Aussicht, durch einen Regierungswechsel um Amt und Brot zu kommen. Tensionen gibt es bei der' Aläglichkeit der Finanzen und der großen Zahl früherer Beamten nicht. Man wäre also kein Amerikaner, wenn man nicht möglichst schnell so viel nähme, wie man kriegen kann.

Es gibt daher im spanischen Amerika immer nur zwei politische Karteien : die eine, die an der Regierung i st und die andere, die an der