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Fleisch mann, Verwaltung der Kolonien 1911.
Gegenstand von Erwägungen, deren Ernstlichkeit gar nicht in Abrede gestellt werden soll.
IV. Rechtspflege.
Die Justiz kann ein ruhiges Jahr verzeichnen. Man sprach nicht oder nur wenig von ihr, also wird sie wohl gut gewesen sein. Der Hauptgegenstand des Streitens (leider war dem so) — die Gesetzesvorlage über einen höchsten Kolonialgerichtshof in der Heimat — ist mit dem alten Reichstage zunächst dahingesunken. Vivat sequens. In gebührendem Abstande mag eine Änderung der Gerichtsorganisation vermerkt sein, die im Einklänge mit der Yerwaltungsorganisation steht: Das Bezirksgericht Jaluit ist aufgehoben
und seine Zuständigkeit auf das Bezirksgericht Ponape übertragen worden. Der letzte amtliche Geschäftsbericht (für 1910) nennt als Justizbeschäftigung auf dem Inselidyll: 2 Zivilprozesse, 3 Strafbefehle, 4 Vormundschaften und 20 sonstige Akte der freiwilligen Gerichtsbarkeit! Immerhin wird man der insularen Lage Rechnung tragen müssen — das Bezirksgericht Jap führt ein ebensolches Stilleben — und auch, solange Justiz und Verwaltung noch personal ungetrennt sind, Rechnung tragen können 1 ). Mit der fortschreitenden Erschließung kolonialen Landes wird die Vermehrung und das Hinausrücken der Rechtspflegestätten unausbleiblich. So ist denn, um eine geregelte Rechtspflege an der Gleisspitze der Mittellandbahn in Ostafrika durchzuführen, fürs erste ein richterlicher Beamter vom Bezirksgericht Muansa nach Tabora entsandt worden, und für 1912 steht die Errichtung eines Bezirksgerichts in Tabora bevor.
Die Tätigkeit der Gerichte, abgesehen von den zu Neuguinea gehörigen Inseln, steigt und zeigt auch, namentlich in Südwest bereits absolut beträchtliche Ziffern, die allmählich eine Grundlage für eine heimische dritte Instanz abgeben könnten.
Das Ansteigen der Einnahmen aus Gerichtskosten und selbst der aus Geldstrafen kann als eine naturgemäße Entwickelung angesehen werden. Daß aber damit auch die Unzulänglichkeit der Gefängnisse für die Aufnahme von farbigen und weißen Insassen Schritt hält, bleibt doch eine bedauernswerte Tatsache.
Das Auslief er ungs recht hat eine Erweiterung durch das Abkommen mit England vom 30. Januar erfahren (Reichsgesetzblatt S. 175). Es regelt den Auslieferungsverkehr zwischen unseren Schutzgebieten in Afrika, Neuguinea und dem westlichen Stillen Ozean einerseits — nicht wie der Eingang des Vertrages besagen könnte, allgemein zwischen „den Schutzgebieten“ —■ und einer Reihe mit Namen aufgezählter britischer Protektorate (außer in Afrika noch der „Staat Norclborneo“). Für Kiautschou ist mit Rücksicht auf die Entfernung von der Heimat und die geringe Zahl der vorhandenen Militär justizbeamten die Geltung des Reichsgesetzes über die militärische Strafrechtspflege vom 25. Juni 1900 bis zum 1. Januar 1918 verlängert worden (Reichsgesetz vom 16. Dezember 1911).
J Vorschläge zur Gerichtsreform treten endlich auch aus der Praxis der Kolonialrichter hervor; trefflich Cruscn in der Zeitschrift für Strafrechtswissenschaft Band 32 S. 623—644, ferner Authenrieth, Zeitschrift für Kolonialpolitik Band 14 S. 138—J79. Es ist wohl nicht unbescheiden, auf die kleinen Beiträge in diesem Jahrbuche zu verweisen: I 106—m, II 70—72, 111 71—75, IV 71—73.
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