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Besprechungen
Rudolf Grahmann — Hansjürgen Müller-Beck, Urgeschichte der Menschheit.
Dritte, völlig neubearbeitete und erweiterte Auflage. XVI und 379 Seiten mit 145 Abb. im Text und 10 Tabellen. 12 Karten, 8 Kunstdrucktafeln. Format 15,8 X 13,7 cm. Leinen DM 29,—. Kohlhammer.
Die Ansprüche wissenschaftlich interessierter Kreise an leicht faßlichen aber fest fundierten Einführungen und Ubersichten wachsen ständig. Ein Beweis hierfür ist die Tatsache, daß Rudolf Grahmanns „Urgeschichte", die 1952 zum ersten Male erschien, jetzt zum dritten Mal aufgelegt werden mußte. Genügten bei der 2. Auflage noch verhältnismäßig geringe Änderungen und Zusätze, so erforderte der stark angewachsene Stoff 10 Jahre danach nun eine völlige Neubearbeitung. Da Grahmann jedoch inzwischen verstorben war, mußte sich der Verlag eines anderen Wissenschaftlers vergewissern, der die gewiß undankbare Aufgabe, ein fremdes Werk zu modernisieren, auf sich zu nehmen bereit war. In Hansjürgen Müller- Beck hat der Verlag diesen Mann gefunden. Wir dürfen mit Befriedigung feststellen, daß damit die anstehende Aufgabe einem Archäologen zufiel, d. h. einem Wissenschaftler, dessen Anliegen die Geschichte ist. Die pleistozäne Archäologie lag allzu lange in den Händen von Naturwissenschaftlern, vor allem Geologen, für die „Diluvialprähistorie" letzten Endes nur eine „geologische Wissenschaft" blieb (Wiegers 1920). Nur durch das Einsteigen von Archäologen, deren Engagement hier in den letzten Jahren verstärkt zu beobachten ist, wird gewährleistet, daß in der Beschäftigung mit dem urgeschichtlichen Menschen der historische Aspekt überhaupt und gebührend zur Geltung kommt.
Müller-Beck hat sich seine Aufgabe nicht leicht gemacht. Trotz Beibehaltung der Grahmannschen Konzeption mußten viele Abschnitte, manchmal über Seiten hin, völlig neu geschrieben werden. Daß dabei die Neuerkenntnisse der Stratigraphie des Eiszeitalters ebenso wie die der Anthropologie eingearbeitet wurden, versteht sich fast von selbst. Hand in Hand damit ging die Überarbeitung und teilweise Neuanfertigung der Zeichnungen und Tafeln und die völlige Neuerstellung des Kartenmaterials. Ein ganz neues Kapitel beschäftigt sich mit den Jäger- und Sammlerkulturen des Holozäns. Dieses Kapitel ist schon deshalb so wichtig, weil es Außenstehenden klarmacht, daß Urgeschichte nicht chronologisch zu verstehen und mit pleistozäner Archäologie identisch, sondern ein phaseologischer Begriff ist. Eine Einsicht, die die Völkerkunde wieder in den über Jahrzehnte abgebauten Rang einer wichtigen Hilfswissenschaft erheben muß.