Waruin muß DeutschlandKolonien haben?
A^arum muß DeutschlandKolonien haben? Als diese Frage zuerst auftauchte, und nach jahrelanger theoretischer Erörterung zu den Erwerbungen in Afrika und der Südsee führte, waren die beiden Hauptargumente für eine deutsche Kolonialpolitik die ^u8>vanc1erunA und der Import kolonialer Ver- b>raucli8AeZen8tänäe. Jeder vaterlandsliebende Deutsche mußte es schmerzlich empfinden, daß alljährlich Hunderttausende die Heimat verließen, um in Amerika ein besseres Dasein zu suchen, als die Verhältnisse in Deutschland es ermöglichten. Man malte sich aus, welch einen Zuwachs für das Deutschtum in der Welt es geben würde, sobald die deutsche Auswanderung nach deutschen Kolonien gelenkt werden könnte. Andere Stimmen wiesen mit demselben Eifer darauf hin, was für Verluste am deutschen Volksvermögen dadurch entständen, daß jährlich Hunderte von Millionen für Kolonialwaren an andere Völker gezahlt würden.
Alle Schriften, die sich in der Zeit zwischen der Gründung des Reichs und den ersten kolonialpolitischen Schritten Deutschlands mit der kolonialen Frage beschäftigen, sind voll von diesen Gedanken. Heute kommen sie uns, man möchte fast sagen, veraltet und überwunden vor. Eine gewisse Bedeutung gebührt ihnen zwar immer noch, aber wichtigere Dinge sind in den Vordergrund getreten. Zunächst spielt die Auswanderung im deutschen Leben nicht mehr entfernt eine solche Rolle wie früher. Am höchsten war sie unmittelbar vor dem Erwerb der Kolonien. Im Durchschnitt der Jahre 1880—1884 verließen über 175OOO Menschen jährlich Deutschland. 1881 waren es sogar 220000 — die höchste je erreichte Ziffer. Damals betrug die Gesamtbevölkerung Deutschlands erst zwischen 40 und 50 Millionen. Jetzt sind es bald 70 Millionen, aber die Auswanderung ist gegen früher auf den zehnten Teil gesunken. Die Gewinne die das deutsche Volk aus seiner Betätigung in Welthandel und Weltwirtschaft zieht, sind durch den mächtigen gewerblichen Aufschwung, den wir erlebt haben,so groß geworden, daß wir heute nicht nur zahlreicher, sondern auch besser existieren können, als vordem, und keine Kinder der deutschen Heimat mehr als „Kulturdünger" in die Fremde abgeschoben zu werden brauchen.
Was der vorigen Generation so viel Sorge machte, der Verbrauch an kolonialen Genußartikeln, der uns den fremden Kolonialvölkern tributpflichtig machte, ist in der Gegenwart noch viel größer geworden als vor dreißig oder vierzig Jahren, aber in unserm nationalen Gesamthaushalt spielt er eine geringe Rolle gegenüber der immensen Steigerung des Bedarfes an ausländischen Rohstoffen für unsere Industrie und an ausländischen Nahrungsmitteln zur Deckung unseres Defizits an Brot, Fleisch, Eiern, Gemüse, Obst usw. Am notwendigsten ist es für uns, daß wir im Bezug gewerblicher Rohstoffe vorn Auslande unabhängiger werden. Es wird schwerlich daran zu denken sein, daß jemals auf deutschem Kolonialboden alle Wolle und Baumwolle, alles Holz und Erz gewonnen wird, das die deutsche Industrie von auswärts beziehen muß. Aber, wie Dernburg richtig gesagt hat: es ist schon viel erreicht, wenn unsere koloniale Produktion so bedeutend wird, daß sie imstande ist, eine preisregulierende Wirkung auf dem Weltmarkt auszuüben. Das gilt vor allem für Dinge, in denen bestimmte Völker bisher eine Art von Monopol haben, wie die Amerikaner in Baumwolle.
Auch die Frage der Auswanderung nach den Kolonien ist wichtig, trotzdem wir keinen Bevölkerungsüberschuß mehr haben. Wir haben aber eingesehen, daß Südweftafrika, oder die Hochländer von Ostafrika, oder sonst ein Stück der afrikanischen Tropen auch gar nicht geeignet ist, eine weiße Massen- bevölkerung aufzunehmen, einfach aus dem Grunde, weil der Land- und Handarbeiter, also das ziffernmäßig stärkste Element im Lande, immer der Eingeborene sein wird. Der Zahl nach können die Weißen im eigentlichen Afrika immer nur eine Minderheit bilden. Wirtschaftlich würde ihnen natürlich die Leitung der Produktion gehören, und vor allen Dingen sehen wir es schon jetzt in unsern afrikanischen Kolonien mit Augen, wie sich ein neuer wertvoller Typus des deutschen Charakters bildet: der deutsche Afrikaner. Unsere jetzigen Kolonien, und was wir sonst vielleicht noch durch Verträge hinzucrwerben werden, können bei gehöriger Ausschließung des Landes im Laufe der Zeit immerhin eine Menge Auswandrer aufnehmen, aber das Ziel dabei ist nicht die Masse, sondern die afrikanisch-koloniale Qualität eines neuen Deutschtums jenseits des Ozeans. In diesem Sinne ist auch der nationale Wert der Kolonialpolitik sehr groß, und wenn man erwägt, welche wirtschaftlichen Werte in Zukunft von einem so entstandenen afrikanischen Deutschland unter der Führung einer weißen deutschen Herrenschicht geschaffen werden können, so muß in uns der Wunsch kräftig werden, daß dieses nationale Äel unsrer Xolo- nialpolitik bald in noch viel weiteren Kreisen begriffen werden möge, als es jetzt noch der Fall ist.
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