Hermann Witte
Ein neuer Fundplatz in Bremen-Rekum und Überlegungen zur Besiedlung Bremens im frühen Mittelalter
Mit dem Ende der fränkischen Kriegszüge unter Karl dem Großen in Norddeutschland kurz nach 800 und der damit verbundenen Gründung eines Bischofssitzes in Bremen beginnt nach gängiger Auffassung das Mittelalter unserer Stadt. Schwerpunkt dieser Betrachtung sollen Überlegungen zum Besiedlungsablauf in den vorhergehenden Jahrhunderten sein. Eine besondere Widmung erfährt dabei der 1998 entdeckte Fundplatz Unterm Berg / An der Rekumer Straße in Bremen-Rekum. Es geht im wesentlichen um die Frage, welcher Besiedlungsablauf sich im Gebiet Bremens während der Jahrhunderte der Völkerwanderungs- und Me- rowingerzeit vollzog.
Über die Zeit des späten 4. bis Anfang des 9. Jhs. in Bremen zu schreiben, heißt, sich inmitten eines Abschnittes der Geschichte des Sachsen-Stammes zu begeben. Das Unterwesergebiet gehörte während dieser Zeit zu dem Kernbereich des sächsischen Stammeslandes. Bei den Sachsen handelte es sich um einen vermutlich im 2./3. Jh. zusammengeschlossenen Verband ehemals eigenständiger Kleinstämme. Die Grundlage dieses Zusammenschlusses dürfte nach gegenwärtigem Forschungsstand ein kriegerischer Kultverband mit einem besonderen Gefolgschaftswesens gewesen sein (HÄSSLER 1999, 24).
Diese Sachsen sind von der spätantiken Zeit bis in das frühe und hohe Mittelalter hinein eine feste Größe in der Welt des nordwestlichen Mitteleuropa. Über die Zeiten hinweg gab es sich ständig ändernde Stammesgrenzen, aber der Kernbereich des sächsischen Stammesgebietes lag im wesentlichen im nördlichen Niedersachsen. Bis zur gewaltsamen Eingliederung in das Karolingerreich führten sie ein scheinbar ungebrochenes politisches Eigenleben. In den Wirren der spätantiken Zeit standen die Sachsen ebenso wie andere germanische Stammesgruppen einerseits als Söldnergruppen in römischen Diensten, um die Grenzen des Imperium Romanum auf dem Kontinent und in Britannien zu verteidigen. Auf der anderen Seite griffen ihre Kriegerverbände aber auch immer wieder zu Land, vor allem aber über See zunächst die römischen, später dann die fränkischen Grenzgebiete an. Über Jahrhunderte
hinweg stellten sie für das römische und das fränkische Reich eine permanente Gefahr dar. Wiederholt wurden deshalb Expeditionen der Römer und vor allem der Franken in rechtsrheinische Gebiete unternommen, um dieser Gefahr ein Ende zu bereiten. Die Sachsen schreiben ihr eigenes Kapitel der Völkerwanderungszeit durch die Landnahme in Britannien.
Über die uns interessierende Zeit gibt es keinerlei zeitgenössische Schrifturkunden, die Verhältnisse und Ereignisse oder gar die Geschichte des sächsischen Stammes in unserem Gebiet unmittelbar beschreiben. Die Autoren der Quellen des 4. bis 8. Jhs. nennen die Sachsen zumeist nur als Fremde und angreifende Feinde, hin und wieder aber auch als Verbündete (CAPELLE 1999, 75 ff.). Die Nachrichten dieser Verfasser aus dem römisch-fränkischen Kulturraum sind nicht viel mehr als Kurzberichte. Sie sind stark von einer parteiischen Position geprägt und alles andere als sachlich-neutrale Beschreibungen. Der Name Bremen selbst wird erstmals im Jahre 782 erwähnt, als an diesem Ort der Missionar Gerwal ein gewaltsames Ende fand. Die Schriftaufzeichnungen sächsischer Autoren selbst stammen alle erst aus der Zeit des 9. und 10. Jhs. Sie eignen sich nur bedingt dazu, Rückschlüsse auf die frühe Zeit zu ziehen (LAST, 553 ff.). Eine speziell für das Unterwesergebiet außerordentlich wichtige historische Quelle ist die um 860 vom bremischen Erzbischof Ansgar verfaßte Erzählung über die wundersamen Dinge, die sich am Grabe des heiligen Willehad zugetragen haben. Der Angelsachse Willehad, der als Bischof mit der Missionierung im sächsischen und friesischen Gebiet beauftragt war, starb 798, eine Woche nach der Weihe einer ersten hölzernen Kirche in Bremen. Dieser Text nennt zahlreiche Ortschaften, die es in der Zeit um 800 hier gegeben haben muß (RÖPCKE, 74 f.)
Archäologische Bodenfunde liegen in großer Menge als Quellen vor. Aber so zahlreich auf archäologischem Wege gewonnene Erkenntnisse zur Geschichte der Sachsen im allgemeinen und speziell zur Geschichte unseres Bremer Gebiets in dieser Zeit auch sind, reichen sie nicht, uns vollkommen in Kenntnis darüber zu setzen, wie es denn nun genau war.
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