DIE ARBEIT VON IRENE STAHL (1952-2000) IM RAHMEN DER HANDSCHRIFTENERSCHLIESSUNG IN WOLFENBÜTTEL
Große Sammler wie Herzog Julius von Braunschweig-Lüneburg (1528-1589) und Herzog August der Jüngere von Braunschweig-Lüneburg (1579-1666) haben den Aufbau der bedeutenden Handschriftensammlung in Wolfenbüttel maßgeblich bestimmt. Der Umfang und Wert dieser Bibliothek stellten für die Wolfenbütteler Bibliothekare über die Jahrhunderte hin eine Herausforderung dar, und so entstand eine lange Reihe von Katalogen mit eingehenden Beschreibungen dieser einmaligen Schriftdokumente. Uber die Jahre vertiefte sich das Interesse am Gegenstand, viel Mühe wurde in die Erschließung investiert, und die einschlägige Kompetenz wuchs. Dabei nimmt es nicht wunder, daß der Blick der Bibliothekare auch zu den im Land verstreuten Manuskriptbeständen hinausging. Schon im 19. Jahrhundert haben sich Wolfenbütteler Bibliothekare auch um die Erschließung von Handschriften im norddeutschen Raum bemüht. Im Jahr 1971 wurde schließlich eine ständige Arbeitsstelle zur Erfassung, Erhaltung und Erschließung der mittelalterlichen Handschriften in Niedersachsen, das heißt der außerhalb der Herzog August Bibliothek bewahrten Handschriftensammlungen, in Wolfenbüttel eingerichtet. Zunächst wurden die von Aurich bis Wrisbergholzen verstreuten Manuskripte aufgespürt - ein notwendiger erster Schritt, um auch schwer zugängliche und verwahrloste Bestände orten zu können. Danach begann die Beschreibung einzelner Kodizes. Nach dreißigjähriger kontinuierlicher Arbeit gibt es moderne Kataloge zu den mittelalterlichen Handschriften fast aller großen Städte wie Hannover, Hildesheim, Lüneburg, Osnabrück oder Oldenburg und zu vielen kleineren Beständen. Über 1000 zum Teil umfangreiche Einzelbeschreibungen sind unter tatkräftiger Unterstützung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft entstanden.
In den neunziger Jahren wurde die Katalogarbeit auf außerniedersächsische Bestände, nämlich die deutschen mittelalterlichen Handschriften der Universitätsbibliothek Leipzig und die 124 Kodizes aus der Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, ausgedehnt und Irene Stahl mit dieser Aufgabe betraut. Bremen war ihr letztes großes Projekt, das sie bis zu ihrem Tode am 11. Dezember 2000 verfolgt und aus eigener Kraft zu Ende gebracht hat. Irene Stahl war eine begabte Mediävistin. Aus der Zeit ihres Studiums rührte ihr Interesse an der Erforschung des Mittelalters. Sie arbeitete bald mit Manuskripten und Archivalien verschiedenster Provenienz des 14. bis 18. Jahrhunderts und erwarb umfangreiche paläographische Kenntnisse. Als Mitarbeiterin eines Sonderforschungsbereichs an der Universität Münster hatte sie Erfahrungen in der Edition mittelalterlicher Quellentexte und in der Auswertung serieller Quellen für verwaltungs-, regional- und bildungsgeschichtliche Fragestellungen gesammelt. Im Jahr 1989 begann sie mit der Rekonstruktion der Frenswegener Klosterbibliothek auf der Grundlage der Kataloge des 19. Jahrhunderts und ist seitdem der Handschriftenkatalogisierung treu geblieben. 1991 wechselte sie in die Arbeits-
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