Neben den Fortschritten unserer Gegner nehmen sich unsere eigenen Leistungen recht bescheiden aus. Sieht man von Tsingtau, das eine Musterkolonie geworden ist, und von der Medizin- und Technischen Schule in Schanghai ab, so bleibt wenig übrig. Die völlige Unzulänglichkeit der von uns aufgewandten Mittel hat sich in verhängnisvoller Weise gerächt. Während unsere Gegner im letzten Jahrzehnt mit Hochdruck gearbeitet haben, glaubten wir, mit kleinen Mitteln auskommen zu können und sind daher völlig ins Hintertreffen geraten. Deutschland nimmt heute in China nicht mehr den Platz ein, der seiner Stellung als Großmacht gebührt. Ein bezeichnendes Schlaglicht auf unsere Position warf die vielbesprochene Anstellung fremder Berater im August 1912, als die wichtigsten Posten mit Engländern, Amerikanern, Franzosen und Japanern besetzt werden sollten. Die deutsche Sprache hatte noch vor einem Jahrzehnt Aussicht, in den chinesischen Staatsschulen der englischen gleichgestellt zu werden; in den letzten Jahren ist sie aber völlig zurückgedrängt. Auch die neueren Schulerlasse der chinesischen Regierung bedeuten nur eine scheinbare Wendung zum Besseren, wie im anderen Zusammenhang ausgeführt wird. Noch läßt sich der Siegeszug der englischen Sprache im Osten aufhalten, aber wir haben nichts getan, ihm entgegenzutreten. Schantung, das unmittelbare Hinterland des deutschen Schutzgebietes, ist der Mittelpunkt amerikanischer Propaganda geworden; die früheren deutschfreundlichen Beamten der Provinz haben Zöglingen amerikanischer Schulen Platz machen müssen. An der Nordstrecke der Tientsin-Pukau-Bahn, die von deutschen Ingenieuren und mit deutschem Geld gebaut ist, wird die deutsche Sprache systematisch unterdrückt. Das junge China, insbesondere das einflußreiche Kantonesentum, das in der Revolution eine so große Rolle spielte, steht ausschließlich unter englischem, amerikanischem und japanischem Einfluß.
Als starker Hemmschuh in unserer Entwicklung hat auch das Verhalten der deutschen Finanz gewirkt, die aus übergroßer Vorsicht und mangelnder Unternehmungslust eine Gelegenheit nach der anderen verpaßt hat, Einfluß in China zu gewinnen. Unserer Diplomatie fehlte der aktive Zug, die Initiative. War der Grundsatz: quieta non movere, auf rein politischem Gebiet für uns vielleicht angebracht, so hätte dafür eine um so intensivere Tätigkeit einsetzen müssen, soweit unsere wirtschaftlichen Interessen in Frage standen; aber diese scheinen, obwohl in ihnen unsere vornehmste Aufgabe liegt, zu sehr en bagatelle behandelt zu sein. Schließlich haben nationale Eigentümlichkeiten ihren Teil der Schuld dazu beigetragen, daß wir uns durch den Ansturm des Angelsachsen- tums und der Japaner in den Hintergrund haben drängen lassen. An erster Stelle steht das vielfach nicht genügend stark ausgeprägte nationale Selbstbewußtsein des einzelnen Deutschen. Der Engländer ist überall, wohin er kommt, der selbstverständliche Vertreter englischer Interessen und ein lebendiger Träger englischer Lebensformen. Sein gesunder Egoismus kennt nur den Vorteil des eigenen Landes. Wir kranken an zu großer Achtung vor fremden Ansprüchen oder vor bestehenden Verhältnissen. Typisch ist in dieser Beziehung unser Verhalten, wenn es sich um das Durchsetzen der deutschen Sprache gegenüber
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