Der chinesische Markt.
CHINA hat im letzten Jahrzehnt den Bruch mit der Vergangenheit vollzogen. Chinas Noch im Jahre 1900 ging eine Welle des Fremdenhasses über das ganze Umschwung. Land als Ausfluß einer grundsätzlich abweisenden Haltung des Chinesentums gegenüber dem unaufhaltbaren Eindringen der westlichen Kultur. Es war das letzte Aufflackern eines Geistes, der von nationaler Abgeschlossenheit träumte, der in den alten, ausgetretenen Geleisen weitergehen wollte, der die gegenseitige Beeinflussung der Völker untereinander und ihr wirtschaftliches Ineinanderarbeiten ablehnte.
Unter dem Druck der eindringlichen Lehren des Jahres 1900, noch mehr aber infolge des russisch-japanischen Krieges hat sich eine völlige Wandlung vollzogen. Dem jungen China, in dem der nationale Geist einen mächtigen Aufschwung genommen hat, hat sich die Uberzeugung aufgedrängt, daß die Pflicht der Selbsterhaltung es zwingt, sich die Errungenschaften der westlichen Zivilisation zu eigen zu machen. So wurden zunächst Eisenbahnen gebaut, allein im letzten Jahrzehnt mehr als 4000 km. Es genügt, auf die wichtigen Linien Peking—Hankau, Tientsin—Pukau, Tsingtau—Tsinanfu und Tientsin- Mukden hinzuweisen. Diese Bahnen, die sich durchgängig gut rentieren, haben große Gebiete erschlossen und die Bevölkerung reicher Provinzen mit den Erzeugnissen westländischer Industrie bekannt gemacht. Die Anforderungen an die Lebenshaltung sind schnell gestiegen. Ein üppig emporschießendes Zeitungswesen, gestützt auf ein ausgedehntes Telegraphennetz, vermittelt moderne Ideen bis in die entlegensten Gegenden. Die die alte Monarchie umstürzende Revolution hat das Kantonesentum und mit ihm die vielen jungen Chinesen, die auf amerikanischen, englischen und japanischen Schulen ihre Ausbildung erhalten haben, in den Vordergrund gebracht. Die Lenker des Staates, an ihrer Spitze Yüan-Shi-Kai, sind von der Uberzeugung durchdrungen, daß China, wenn es seine Stimme unter den Völkern wieder gewinnen will, die ihm kraft seiner hohen geistigen Kultur, des Fleißes seiner Bevölkerung und seines natürlichen Reichtums gebührt, sich die Methoden der lange als Barbaren verachteten Westländer zu eigen machen muß. Das Problem liegt für Chinas Staatsmänner nicht mehr darin, sich gegen den westlichen Einfluß abzuschließen, sondern den richtigen Mittelweg zu finden, auf dem es sich unter Wahrung seiner nationalen Selbständigkeit westliche Zivilisation aneignen kann. China ist erwacht. Nicht mehr haben wir den weltfremden, in spekulativer Philosophie dahin- träumenden Chinesen vor uns, sondern ein wirtschaftlich vorwärtsstrebendes, nationalstolzes Volk. Ein neuer Geist ist an der Arbeit und ein Hauch frischen Lebens geht durch das Land. Die große Anleihe soll der Regierung finanziellen Halt geben; in der Handelsbilanz hat sich ein Ausgleich zum Besseren vollzogen; durch die Abschaffung des Opiums werden jährlich ca. 150 Millionen Mark Nationalvermögen für andere Zwecke frei; die Reorganisation des Schulwesens wird ernsthaft in die Hand genommen und die reichen Bodenschätze
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