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Niels Lyhne.
gar nicht darauf vorbereitet, daß sie ihn so ungeduldig fragend ansah, und noch dazu gerade in dem Augenblicke, wo er in die Betrachtung ihrer Hand vertieft war. Endlich bekam er dann die Antwort heraus, daß ja ein Mann damit am besten seine große Liebe beweise, daß er, um es vor sich selber zu verantworten, wie unsagbar er einen Menschen liebe, diesen Menschen mit einer Glorie der Gottheit umgeben müsse.
Ja, darin liegt ja gerade das Beleidigende, versetzte Frau Bvye, wir sind eben göttlich genug, so wie wir sind!
Niels lächelte verbindlich.
Nein, Sie müssen nicht lächeln, es soll durchaus kein Scherz sein. Im Gegenteil, die Sache ist sehr ernsthaft, denn diese Anbetung ist von Grund aus tyrannisch, wir sollen gezwungen werden, nns dem Ideale des Mannes anzupassen. Schlag einen Hacken ab, schneide eine Zehe ab! Das in uns, was nicht mit seiner idealen Vorstellung übereinstimmt, soll verschwinden, und gelingt es nicht, es zu unterdrücken, so wird es übersehen, planmäßig vergessen, alle Entfaltung wird ihm genommen, und das, was wir nicht besitzen oder was doch nicht unser Eigentum ist, das soll zur üppigsten Blüte gebracht werden, indem es bis zu den Wolken erhoben wird, indem von vornherein angenommen wird, daß wir es im höchsten Maße besitzen, und indem es zum Eckstein gemacht wird, auf den sich die Liebe des Mannes stützt. Ich nenne das Gewaltthätigkeit gegen unsre Natur. Ich nenne das Dressur. Die Liebe des Mannes will dressiren. Und wir fügen uns dem — selbst die, welche nicht lieben, fügen sich —, wir sind ja nun einmal verachtungswürdige Schwächlinge.
Sie erhob sich aus ihrer ruhenden Stellung und blickte Niels drohend an.
Wenn ich schön wäre, o bezaubernd schön, herrlicher, als je ein Weib auf Erden gewesen ist, sodaß alle, die mich anschauten, von unüberwindlicher, schmerzlicher Liebe ergriffen, davon erfaßt würden wie von einem Zauber, wie wollte ich sie da durch die Macht meiner Schönheit zwingen, nicht ihr hergebrachtes blutloses Ideal, sondern mich selbst anzubeten, so wie ich gehe und stehe, jede Falte meines Wesens, jeden Schimmer meiner Natur!
Sie hatte sich jetzt ganz erhoben, und Niels dachte auch daran, zu gehen, stand aber da und überlegte eine kühne Äußerung nach der andern, ohne daß er den Mut finden konnte, seinen Gedanken Worte zu verleihen. Endlich faßte er Mut, ergriff ihre Hand und küßte sie. Da reichte sie ihm auch die andre Hand zum Kusse, und so kam er nicht weiter als zu einem: Gute Nacht!
Niels Lyhne war in Frau Boye verliebt. Als er heimging und durch dieselben Straßen kam, durch die er noch vor wenig Stunden so mißmutig geschlendert war, kam es ihm vor, als läge es lange, lange hinter ihm, seit er hier gegangen war. Es war außerdem eine gewisse Sicherheit, ein ruhiger Anstand in seinen Gang und seine Haltung gekommen, und als er seine Handschuhe sorgfältig zuknöpfte, that er das mit einer Empfindung, als sei eine große Ver-