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Amerikanisches Eisenbahnwesen.
nnd als Wir wieder etwas zur Besinnung kamen, erblickten wir das Vorderteil einer Lokomotive in unsern Wagen völlig hineingefahren, sodaß die Hintere Thür völlig zerschmettert und der Fußboden selbst in der Mitte durch die von unten gewaltsam durchgetriebenen Druckfcdern geborsten war. Da ich unglücklicherweise auf dem letzten Sitze gesessen und infolge dessen den heftigsten Ruck erhalten hatte, auch als Neuling bei solchen Vorfällen noch nicht die nötige Erfahrung besaß, so erhielt ich als Denkzettel eine Fußverstauchung, während die übrigen, die den Rummel schon kannten, mit heiler Haut davonkamen. Eine Seitenthür hätte in diesem Falle freilich auch nicht viel geholfen, da sie an der betreffenden Unglücksstelle höchstens einen Kopfsprung in den See gestattet hätte; aber immerhin noch lieber es mit den Wellen versuchen, als lebendig verbrannt oder gerädert werden! Im übrigen nahm das Neisepublikum die Sache als harmlos hin und half den zertrümmerten Wagen mit eisernen Brechstangen wieder notdürftig zusammenklopfen; dann fuhr man weiter, als ob nichts geschehen wäre, obwohl der Wagen bei jeder Achsenumdrehung solche Stöße gab, daß man sich nur mit Mühe auf seinem Sitze halten konnte. Ich war froh, als ich fünfzehn Minuten später meine Umsteigestation erreichte, zumal da dicht vor derselben ein kurz zuvor eingelaufener Güterzug mit der Uferbrücke durchgebrochen war und zum Teil noch im See lag.
Sehen wir uns nun im Innern der verschiednen Wagcnklassen etwas näher um und beginnen wir mit dem Normalwagen, dem erstklassigen Personenwagen — Krst-el^s (Ar. Diese Wagen haben durchschnittlich auf jeder Längsseite fünfzehn Fenster und ebensoviel gepolsterte Doppelsitze, sodaß ein vollbesetzter Wagen sechzig Personen faßt. Die Rücklehne des Sitzes ist um eine in der Mitte der beiden Armlehnen befestigte Axe drehbar, sodaß ein einfaches Umklappen derselben gestattet, nach Belieben vorwärts oder rückwärts, beziehentlich seinen Hintermännern gegenüber zu sitzen. Das ist mitunter sehr angenehm, hat aber den Nachteil, daß die Rücklehne nur bis zu den Schultern hinaufreicht und die Armlehnen verhältnismäßig niedrig, auch ungcpolstert sind. Auf weiten Touren sucht man daher vergebens nach einem bequemen Stützpunkte für Kopf und Arme, geschweige denn für den übrigen Körper. Von einer „molligen Polsterecke" oder einem behaglichen Ausstrecken, wie in unsern Wagen, ist gar keine Rede. Höchstens kann man bei schwacher Wagenbesctzung aus zwei gegeu- überstehcndcn Dvppelsitzen durch Umlcgung der einen Rücklehne und Einlegung eines leeren Sitzpolsters als Mittelstück sich eine Art Sofa herstellen; da dieses aber selbst in der Diagonale nie mehr als etwa anderthalb Meter mißt, so läßt sich begreifen, daß eine solche Lagerstätte selbst für solche, die das preußische Militärmaß nicht erreicht haben, anch die ganze Nacht hindurch einen höchst fragwürdigen Genuß bietet. Außerdem wird er auch in der Regel nur den Damen gestattet.
Zur Unterbringung des Handgepäcks sind an den Seitenwänden zwischen