Niels Lyhne/)
Roman von Z. p, Jacobsen. Aus dem Dänischen übersetzt von Mathilde Mann.
Erstes Aapitel.
ie hatte die schwarzen, strahlenden Augen der Bliders mit den feinen, schnurgeraden Brauen, sie hatte deren stark ausgebildete Nase, ihr kräftiges Kinn, ihre üppigen Lippen. Den eigentümlich schmerzlich sinnlichen Zug um die Mundwinkel und die unruhigen Bewegungen mit dem Kopfe hatte sie auch geerbt, aber ihre Wangen waren bleich, und ihr seidenweiches Haar schloß sich sanft und glatt den Formen des Kopfes an.
So waren die Bliders nicht; ihre Farben bestanden aus Rosa und Bronze, das Haar war dick und kraus, dicht wie eine Mahne, und dann hatten sie volle, tiefe, biegsame Stimmen, die in wunderbar gutem Einklang standen mit den Familicnsagen von den lärmenden Jagdfahrten der Väter, von ihren feierlichen Morgenandachten und ihren tausenderlei Liebesabenteuern. Ihre Stimme aber war matt und klanglos.
*) Mit dem hier beginnenden Roman bringen wir die Übersetzung eines sehr eigentümlichen Werkes des vor drei Jahren, kurz nach Vollendung seines achtunddreißigsten Lebensjahres, verstorbenen hochbegabten dänischen Schriftstellers Jens Peter Jacobsen. Wenn auch die Grenzboten nicht leicht in die Gefahr kommen werden, von jungen Mädchen gelesen zu werden, so möchten wir doch die Hausväter im voraus darauf aufmerksam machen, daß „Nicls Lyhne" nicht für junge Mädchen geschrieben ist. Wir möchten auch vorausschicken, daß „Nicls Lyhne" kein völlig ausgereiftes, klares und rundes Werk ist, daß es nur aus lose an einander gereihten Szenen besteht und deshalb formell keinen recht befriedigenden Eindruck hinterlassen wird; endlich auch das, daß es die Menschen und ihr Seelenleben mit einer oft wchthucnden Schärfe und Nacktheit zeichnet. Trotzdem glauben wir das Werk wegen der außerordentlichen Kraft der Darstellung und der großen Schönheit vieler Einzelheiten unsern Lesern vermitteln zu solleu. „Niels Lyhne" ist kein Roman für den großen Haufen; für den ernsten Leser aber und den Freund der schönen Litteratur wird das Werk trotz seiner Mängel und Herbheiten eine bemerkenswerte Erscheinung sein.