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Komposition einige Mühe verwandt ist. — Der Roman von Holte«, der gleichfalls die Darstellung volkstümlicher Verhältnisse zu seinem wesentlichen Vorwurf genommen hat, würde einen nicht geringeren Eindruck machen, wenn der Verfasser bei seinem außerordentlich scharfen Auge für die kleinen Züge des Volkslebens sich nicht zu sehr in das Detail verloren hätte. Die Handlung schreitet trag vorwärts, und die Fülle von unbedeutenden Personen, die uns von ihren kleinen Angelegenheiten in aller Breite unterhalten, setzt uns in Verwirrung. — Die kleine Geschichte von Tl). Mundt, welche uns das gesellschaftliche Leben der reichen Juden in Berlin und ihr Verhältniß zu der Menschenclasse darstellt, aus die wir wol mit Holtet den Namen Vagabunden anwenden können, ist recht artig erzählt. — Am schwächsten ist der Roman von Schücking, weil er die meisten Ansprüche macht. Der Verfasser will die gesellschaftliche Stellung der verschiedenen Stände in Deutschland nach der Revolution von 1868 schildern und die Entwicklung eines bedeutenden, aber irregeleiteten Charakters darein verflechten, aber er hat sich nicht die Mühe gegeben, diese Verhältnisse nach der Natur sorgfältig zu studiren, und gibt unö daher eine Reihe willkürlicher Erfindungen, die allen Voraussetzungen der Wirklichkeit widersprechen. Seine Hauptfiguren, die Gräsin Constanze, der Erbprinz, die Grasen Julian und Hugo und der Maler sind ganz verfehlt; dagegen sind die Nebenpersonen aus dem bürgerlichen Stande glücklich genug angelegt und lassen uns wünschen, daß der Verfasser sein Talent mehr nach dieser Seite hingewendet hätte. —
Die Erzählung von Julie Burow ist für ihren Zweck sehr verstandig eingerichtet, sie ist anspruchslos und wenigstens nicht zu empfindsam. —
In dem Verfasser der Geschichten fürs Volk, Herrn Pflanz, lernen wir ein nicht unbedeutendes Talent kennen, der gut beobachtet hat und seine Beobachtungen mit viel Geschick ineinander verwebt. Wir können es aber nicht verhehlen, daß das Genre der Dorfgeschichten doch nur eine vorübergehende Berechtigung hatte, und daß namentlich die Form , die durch das Vorbild Gotthelfs und Auerbachs fast zur Manier geworden ist uns mehr ermüdet, als die alte Weise der Romanschreiber, die sich in unsern gewohnten gesellschaftlichen Kreisen bewegten. Der Verfasser unterscheidet zwischen den Schriften, die das Volk für den Gebildeten darstellen, und denen, die für die Lectüre des Volks bestimmt sind; in der That ein sehr wesentlicher Unterschied. Aber wenn er seine eigne Schrift zu den letztern rechnet, so möchten wir uns doch einen Zweifel erlauben, da sich wenigstens in der Regel das Volk wol mehr in der Poesie für Gegenstände interessirt, die ihm fern liegen und die ihm mit einem gewissen Glanz vorgeführt werden, als für seine eignen Angelegenheiten, die ihm doch in seiner eignen Anschauung gegenwärtiger sind, als in der kunstvollen Darstellung des Dichters. Doch müssen wir hinzusetzen, daß dies nur eine