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Berlioz hat den Götheschen Faust übersetzt oder sich übersetzen lassen; natürlich paßt seine Composition nicht auf die ursprünglichen Worte, allein es ist nicht geschickt, daß er für seine Aufführungen einen rückübersetzten deutschen Text hat unterlegen lassen. Mau kaun ihm nicht zumuthen zu empfinden, wie einem Deutschen zu Muthe ist bei dieser fortgesetzten Verballhoruifirung, durch welche man immer noch die 6isisLl.l msmdrir xoetao erkennt, und die selbst eine sehr vorzügliche Musik nicht würde zur Geltung kommen lassen. Viel besser wäre der französische Text; wer ihn nicht versteht, den stört er doch nicht wie der deutsche.
Doch dies ist ei» äußerlicher Mißgriff, der leicht beseitigt werden kanu, aber wahrhaft entsetzlich ist die Weise, wie Berlioz sich aus den Elementen des Götheschen Gedichts seineu Text arraugirt hat. Er hat nicht etwa aus einzelnen Scenen versetzt, sondern das Ganze ans seinen Fngen gelost und jede einzelne Partikel als gute Prise angebracht, wo er glaubte, daß sie Effect machen könnte, und mit den heterogensten Dingen vermischt. Bei einem so totalen Mangel an Sinn nnd Verständniß für ein Kunstwerk als Ganzes ist natürlich an eine künstlerische Auffassung und einheitliche Gestaltung bei der musikalischen Reprodnction nicht zn denken, uud mau resignirt sich von vornherein auf Einzelnheiten, die etwa gelungen sein möchten.
Unter den „Bildern des ersten Actö" ist das erste folgendermaßen im Programm bezeichnet:
„Die Ebenen von Ungarn.. Faust beim Anfgang der Sonne. Zug der Landlente. Chor. Recitativ nnd nngarischer Marsch."
Die Ebenen von Ungarn nebst dem Sounenaufgang werden in einer Jn- strnmental-Einleitnng geschildert; die folgende Situation ist ungefähr die dcö Spa- ziergangcs mit Wagner. „Befreit vom Eis sind Strom uud Bäche" fängt Fansts Recitativ an nnd der Chor der Landlente ist das Lied: „Der Schäfer putzte sich zum Tanz" — Alles in Ungarn. Warum? — Warum nicht? Wozu hat Fanst seinen Zaubermantel, wenn ihn Berlioz nicht auch nach Ungarn versetzen sollte, wenn eö ihm grade paßt? Und es paßt ihm, weil der Ragoczimarsch ein ungarischer Marsch ist, von großer Wirkung uud durch Liszt populär gemacht. Aber Liszt hat doch »nr zehn Geiger zn seiner Disposition nnd Berlioz das ganze Orchester, also mnß Faust deu Ragoczimarsch in Ungarn hören, um dann zu erklären, daß auch diese kriegerischen Töne ihn seinem Trübsinn nicht entreißen können. Allerdings bewährt sich das Talent Berlioz', zu fremden Gedanken wirksame Or- chestereffecte zu finden, anch hier nnd der reich nnd originell instrumeutirte Marsch klingt sehr gut, aber ist es eines Künstlers würdig um eines so äußerlichen Effets willen ein Kunstwerk zu zerstöre»? Wozu habe» wir dcun Wachparaden? Mindestens sollte ma» erwarten, daß der nationale Ton auch in der ganzen Scene festgehalten werde, aber das kann man freilich nicht mit der Instrumentation allein. Vielleicht gelingt eö änderen, i» der Jntrodnction die Chorographie der ungarischen