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Bücherschau : Psychologie
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In der Zusammenstellung io verschiedener Krankheitsbilder von Persönlich- keiteu ällgemerrrbekannten Profils und bewunderungswürdigen Leistungen liegt ein hoher Reiz vom medizin'i'chen wie geschichtlichen Standpunkt, Es befremdet auf den ersten Blick, Bismcirck in der Reihe dieser großen Neurastheniker zu finden. Folgende Sätze des Verfassers geben die Erklärung und sind für das Verständnis Bismarcks wesentlich: Bisinarcks Neurasthenie erinnert in ihrer Schwere und Art lebhaft an die Neurasthenie Nietzsches, doch liegt ihr nicht, wie bei diesem und bei Scheffel, ein aus einer Disharmonie der geistigen Anlage stammender Konflikt zugrunde. Mit einer solchen Disharmonie behaftet, wäre Bismcirck überhaupt unmöglich gewesen, weil er die ganze Größe seiner dämo­nischen Willenskraft zum Kampfe gegen die ungeheuren Widerstände und immer neuen Schwierigkeiten nötig hatte, die sich seiner übermenschlichen Aufgabe entgegentürmten. Und doch wurde seine Neurasthenie nicht eigentlich durch diese Ucberanstrenguug, sondern, wie er '«I'bst hervorhebt, durch ständige Seeleu­kämpfe verursacht. Diese entstammten indessen keiner inneren NuauSgeglichen- heit. sondern seiner großen Gewissenhaftigkeit, dieseine Ehre mit der des Staates vollständig identifizierte". Bismarcks Neurasthenie ist also das Schul­bild der reinenErschöpfungs-Nenrasthenic" ohne wenigstens seelisch konsti­tutionelles Moment. Allerdings bestand auch für sie im Körperbau Bismarcks eine Veranlagung in der Form des Muskclrheumatismns, aus dem sich die Neurasthenie entwickelte.

Aeußerst bemerkenswert ist, daß Bismarcks Persönlichkeit trotz seiner 'chineren Erkrankung in den Höhepunkten seiner geschichllichen Wirksamkeit dem Außenstehenden das Bild höchster Geschlossenheit darbot, und daß noch heute seine Reden und Schriften auf den Loser den Eindruck großartigster, von aller Nervosität" freier, schlechthin überlegener Seelenruhe darbieten. ' Die Ursache dieserHarmonie" ist offenbar die Abweseuhcit aller inneren Unausgeglichcn- heiten in Bismarcks Persönlichkeit. Somit lehrt uns die Geschichte seiner Krank­heit, daß auchnervöse" Beschwerveu dieHarmonie" der Persönlichkeit nicht zu stören brauchen, daß al'o das Wesen desharmonischen" Menschen darin besteht, daß seine Willenskraft nicht dnrch innere Unansgeglichenheiten hin und her gezerrt wivd, daß er vielmehr die ganze Stärke seines Willens frei hat zum Kampf« gegen die Außenwelt, zu der hier auch die Hemmnisse im eigenen Körper gehören.

Ludwig Klages, H a n d s ch r i f t nnd Chcirakte r. Gemeinverständlicher Abriß der graphologischen Technik. Mit 127 Figuren und 21 Tabellen. Dritte und vierte unveränderte Auslage. Leipzig 1921. Johann Amdrosius Barch, Leipzig. Brosch. 30 M, geb. 40 M.

Klages ist der Kant der Graphologie. Er hat diese vielnnschrauchte Deutungskunst zum Rang einer kritischen wie intuitiv, an Tiefe wie an Spann­weit« führenden psychophysischcn Wisfenschast erhoben. In Fachkreisen ist Klages längst bekannt als derMeister derer, die da wissen." Aber erst in den letzten Jahren dringt er mit seinen Schriften in die Breite des Publikums ein. DaS vorliegende Meisterwerk ist sowohl für die Wissenschaft von den Ausdrucks­bewegungen wie für die noch allgemeiner interessierende schwere Kunst der Churaktevkunde und Charakterzeichnung von führender Bedeutung. Von ihm geht die Beseitigung der knrpfnsche>r>ischen Handschriftendeutung aus, welche bis­her die Graphologie in Mißachtung brachte. Freilich erfordert die Aneignung der strengen und tiefen Methode Klages, um zu ihren wunderbar reichen Er­gebnissen zu sichren, ein selbst reiches und durch jahrelanges intensives Studium