108
Unser Verhältnis zu Japan
seit längerer Zeit (1911) eine geheime Verabredung zwischen den Vereinigten Staaten und England, wonach zunächst Deutschland, dann aber Japan vernichtet werden sollte. Bei dem ersten Unternehmen sollte die Union England „mit allen Kräften", bei dem zweiten umgekehrt England den Vereinigten Staaten helfen. Bei den merkwürdigen Beweisen von „Neutralität", die wir von diesen während des Krieges erfahren haben, kann man jedenfalls mutmaßen, daß eine ähnliche Abmachung vorliegt; man wird jedoch die Worte Frenssens „mit allen Kräften" durch die Worte „in wohlwollender Neutralität" ersetzen müssen. Auch Freiherr von Mackay erwähnt geheime Abkommen, durch die England schon zur Zeit Tafts Washington in den Kreis seiner „unvrittsn Iiabi!itiö8" (ungeschriebenen Verpflichtungen) einbezogen habe, um Deutschland einzukreisen, wenn auch „leider über das Maß und die Form dieser Verpflichtungen vollkommenes Dnnkel gebreitet" sei („Das Größere Deutschland", Heft 26 von 1915, Seite 917: „Japan und die Vereinigten Staaten"). Wenn diese Mutmaßungen dcr'Wahrheit entsprechen — und so vieles, auch die ganze Wilsonsche Friedenspolitik*) spricht für ihre Richtigkeit —, so wäre es vom englisch-amerikanischen Standpunkt aus die größte Ironie der Weltgeschichte, von dem deutschjapanischen Gesichtspunkt aus aber die furchtbarste Tragik, daß sich zwei Staaten während dieses Krieges bekämpfen, die nacheinander von demselben Gegner abgeschlachtet werden sollen.
Wir dürfen wohl sagen, daß der Weltkrieg längst zu unseren Gunsten entschieden wäre, wenn Japan statt gegen, mit uns gegangen wäre. Ihm aber wäre dann Ostsibirien mühelos in den Schoß gefallen und die ganze Mandschurei und Mongolei selbstverständlich noch dazu. Auch wenn Japan bloß neutral geblieben wäre, hätte sich vieles anders und günstiger für uns gestaltet; Japan aber hätte in diesem Falle große Vorteile für sich jederzeit von den Ententestaaten durch die Drohung erzwingen können, es werde tätig auf unserer Seite in den Krieg eingreifen. Hätte Japan mit einer längeren Dauer des Krieges von vornherein gerechnet, so hätte es auch wohl diesen Weg gewählt.
Ob eine Verständigung zwischen Japan und Deutschland möglich war? Graf Reventlow führt in der dritten Auflage seines Werkes „Deutschlands auswärtige Politik 1888—1914" (Seite 469 und 470) aus. der 1913/1914 in Berlin weilende japanische Botschafter Sugimura sei besonders zu dem Zweck dorthin geschickt worden, um nähere Beziehungen zwischen Japan und dem Deutschen Reich herbeizuführen; er hätte hieraus auch kein Hehl gemacht, aber
*) Nachdem in dem Weltkrieg ein Keil zwischen Japan und Deutschland getrieben worden ist, mag es Nordamerika — auch aus anderen Gründen — nicht so sehr darauf ankommen, daß Deutschland völlig auf die Knie gezwungen wird, als vielmehr darauf, daß sich England nicht völlig erschöpft. Diese Gefahr von England abzuwenden, erheischt nicht nur das Interesse der amerikanischen Gläubiger gegenüber dem ihm stark verschuldeten England, sondern auch vor allem das Interesse des amerikanischen Staates wegen der England bei der Auseinandersetzung mit Japan zugedachten Rolle. Wilson schätzt die Erschöpfung Englands vielleicht schon heute richtiger ein, als dessen Verantwortliche Staatsmänner es selbst tun.