Beitrag 
Konstantinopolitanische Reiseerlebnisse :
(Schluß)
Seite
749
Einzelbild herunterladen
 

Ronstcmtinopolitcmische Reiseerlebnisse

749

Ansteckungskraft, Drei Soldaten, die dort standen, fingen, da sie ihren Oberst­leutnant so brav heulen sahen, ebenfalls an zu Heuleu, aber ohne den rechten Takt und Ton, und bald heulte uud tanzte die halbe Zuschauerschaft nach besten Kräften mit. Man hörte jetzt nur noch il, lau und uu in wirrem Durcheinander, die Regellosigkeit nahm überHand, und das Schauspiel artete in eine einzige wüste Tanz- und Heulorgie aus. Doch fing nuu schon die physische Kraft an zu er­lahmen, besonders bei den ältern Heulbrüderu. Viele keuchten und schwankten, und der Speichel floß ihnen ans dem Munde, Dicht vor mir stand ein Kerl, den seine beiden Nachbarn halten mußten, damit er nicht fiele; aber trotzdem warf er immer noch den Kopf nach mir herum und schleuderte mir bei jeder Wendung ein keucheudes du! ins Gesicht ein ganz unheimlicher Geselle! Zuletzt hörte sich die Sache wie ein nachgemachter Bcchnzng au, wenn die Kinder ans der StraßeEisenbahners" spielen. Man stampfte mit den Füßen nnd schrie dazu Im, im, bu, gerade wie es die Lokomotive macht. Das dauerte auch uoch fort währeud der nuu folgenden Tretheilungen, die an phantastischem Reiz noch weit über die modernen Gebets­heilungen gehn.

Eine verschleierte Fran brachte ein etwa einjähriges Kind in den Saal und legte es auf eiu Lammfell zu den Füßen des Scheiks nieder. Dieser tastete mit dem einen Fuße, der einen leichten Lederschuh trug, auf dem Unterleibe des Kindes herum, bis er die richtige Stelle gefunden hatte, und trat dann plötzlich mit beiden Füßen auf den kleinen, zarten Leib, sodas; Frau Hauschild einen leichten Schreckens- ruf ausstieß. Einen Augenblick blieb er stehn er muß durch die lange Übung die Anatomie des menschlichen Leibes genau gelernt haben, dann trat er zurück, die Mutter hob das kranke Kind auf, er blies es an und es war geuesen. Dann folgten andre Kinder, die größern küßten ihm nach der Zeremonie die Hand, zuletzt legten sich Erwachsne dem heilenden Derwisch zu Füßen, auch eiu Soldat ließ auf sich herumtreten. Der wissenschaftlich erzogne Mitteleuropäer ist geneigt, über solche abergläubischen Torheiten die Achseln zu zucken. Es ist aber gar nicht zu bezweifeln, daß diese heilige Tretzeremonie in vielen Fällen tatsächlich hilft. Denn durch sie wird die stärkste Suggestion hervorgebracht, die es nur geben kann, und der feste Glaube an Heilung ist bekanntlich schon die halbe Heilnng.

Als wir endlich nach zwei gnten Stunden aus dem fürchterlichen Dunste dieses Derwischklosters herausträte» unter den Schatten der Zypressen, da schlürften wir voll Entzücken wieder den köstlichen, würzigen Duft ein. Das, was wir soeben gesehen hatten, wirkte aber noch lange in uns nach. Es war barbarisch, kraß, fast fürchterlich gewesen, aber doch nicht ohne einen Zug von Großartigkeit. Ein solcher zwei Stunden dauernder Heultanz ist eine religiöse Kraftleistung allerersten Ranges. Allah wäre kein Gott, sondern ein Teufel, wenn er nicht gnädig herabsehen wollte auf solch heißes Bemühen nm seine Gnust.

5. Die Heimfahrt

Schueller, als ich gedacht, näherten sich die Tage meines Aufenthalts in der mäch­tigen Bospornsstadt ihrem Ende. Mein Genosse war schon mit dem Österreichischen Lloyd nach Athen zurückgereist, und auch für mich wurde es die höchste Zeit, nn die Abreise zu denken. Leider durfte ich nicht den großen, aber schönen Umweg über Griechenland uud Italien machen, sondern mußte auf dem kürzesten Wege mit der Eisenbahn zurückkehren, denn mein Urlaub neigte sich ganz bedenklich zu seinem Ende. Ich versah mich also mit Proviant für zwei Tage, darunter auch mit deutscher Wurst von einem deutschen Fleischer, und beglich im Hotel meine Rechnung. Dellio riet mir beim Abschied, nicht mit einer Droschke, sondern mit der Pferdebahn auf den Bahnhof zu fahren. Der Hamal (Lastträger) des Gasthofes werde mir mein Gepäck für zehn Piaster dorthin tragen. So geschah es. Der kleine Armenier er war dem Blutbade vou 1897 eutronneu befestigte meine Sachen an die beiden Enden einer langen Tragstange, legte diese wie ein Joch auf seine Schultern und