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zusammengesetzte Bund, der die lokale Ansdchnung des Reichstagswählrechts erstrebt, zum Teil auch die Altersgrenze für das Wahlrecht heruntergesetzt sehen möchte und gauz einig in der Fordrung von Diäten ist. Die Nationalliberalen wissen wie gewöhnlich nicht, was sie wollen, scheinen sich aber wieder einmal dem durch Wahlrücksichten verstärkten demokratischen Herzeuszugc zuzuneigen. Und die Kouservativeu begnügen sich im ganzen damit, abzuwehren und auf das verrückte, nivellierende Wahlrecht zu schimpfen, mit gelegentlichen Seitenhieben ans den ungetreuen Parteigenossen, der den Anstoß in die Neichs- versassung gebracht und dadurch das ganze Unglück angerichtet habe. Kein Teil, auch die Regierung nicht, arbeitet mit der starken Wnsfe, die sich aus der Kvmpromißnatnr und ihren Konsequenzen ergiebt, und ebensowenig fragt man sich: Wie würde, wie jetzt die Dinge liegen, Fürst Bismarck handeln? Hat er keinen Hinweis auf Mittel hinterlassen, die die Gegner ins Unrecht setzen, den Kampfmut auf unsrer Seite befeuern und, deu veränderten Verhältnissen angepaßt, auf erprobten Wegen begrenzte, aber feste Ziele erreichbar machen würden?
Eine Waffe aus dem geistigen Nachlaß Fürst Bismarcks ist schon erwähnt. Es ist die Bedingung, worunter er das allgemeine Wahlrecht für ein berechtigtes Prinzip erklärt: die offne — gewöhnlich sagt man: die öffentliche — Abgabe der Wahlstimme statt der jetzt geheimen, d. h. der Übergabe eines zn- sammengefaltueu Wnhlzettels, der ungiltig ist, wenn er die Unterschrift des Wählers enthält, wenn dieser mit seinem Namen für deu Gewählten eiutritt.
Von dieser Heimlichkeit sagt Fürst Bismarck: „Die Einflüsse und Abhängigkeiten, die das praktische Leben der Menschen mit sich bringt, sind gott- gegebuc Realitäten, die man nicht ignorieren kann und soll. Wenn man es ablehnt, sie auf das politische Leben zu übertragen, und im letztern den Glauben an die geheime Einsicht aller zum Grunde legt, so gerät man in eiuen Widerspruch des Stantsrechts mit den Realitäten des menschlichen Lebens, der praktisch zu stehenden Friktioueu und schließlich zu Explosionen führt und theoretisch nur auf dem Wege sozialdemokratischer Verrücktheiten lösbar ist, deren Anklang auf der Thatsache beruht, daß die Einsicht großer Massen hinreichend stumpf und unentwickelt ist, nm sich von der Rhetorik geschickter nnd ehrgeiziger Führer nnter Beihilfe eigner Begehrlichkeit stets einsangen zu lassen." Außer dem Gewinn reichster Lebenserfahrung enthalten diese Worte tiefe Gedanken und fruchtbare Aurcguugeu für den Intellekt, aber ihre volle Wahrheit erschließt sich nur einer höhern Seeleukraft, die den Willen des Sprechers zeitlebens befruchtete und mehr noch als Lebenserfahrung und Geistcsstärke die Gewalt seiner Persönlichkeit ausmachte. Nur für den religiösen Glauben giebt es gottgegebene Realitäten. Wer deu Glanben nicht oder nnr in seinen unechten Gestalten kennt, ihn gar abweist, für den ist dieser Teil der Bismarckischen Ausführungen ein leerer Klang. Der wird verständnislos von unzulässigen Wahleinflüssen, von Fälschung des Wahlergebnisses, von Unfreiheit usw. reden nnd die Ausübung des grundlegenden Staatsbürgerrechts aus dem Duukel