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Nach den Wahlen.
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Nach den Wahlen.

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Kapitän dcs Schiffs z. B., Herr Richter, und sein Obersteucrmcmn, Herr Bcim- berger, sich aus dem Schiffbrnche retteten. Die Hoffnung dagegen, bei den Stichwahlen würde noch mancher andre Gescheiterte aufzufischen und aufs Trockue zu bringen sein, wird sich nur in geringem Maße erfüllen. Selbst in Berlin, das seit zwei Jahrzehnten als dieHochburg des Fortschritts" gepriesen wurde, zeigte sich beim ersten Wahlgange ein starker Rückgang der Partei. Die Kandidaten der Sozialdemokraten erhielten rund 94 000, die der vereinigten reichstrenen Parteien 72 000, die der Deutschfrcisinnigen nur 66 000 Stimmen. Wo die Stichwahlen einen Sieg der letzteren herbeiführen sollten, werden sie ihn den Sozialdemokratcn verdanken, man wird also künftig nur halb unrecht thun, wenn man von einem solchen nachträglich Geretteten sagt:Der sozialdemokratische Abgeordnete N. N. äußerte" u. s. w. Auch die Sozialdemokraten hatten bei den ersten Wahlen beträchtlichen Verlust, sie räumten bei acht derselben den Gegnern das Feld, und darunter waren solche, wo sie des Sieges sicher zu sein schienen. Die Stichwahlen werden ihnen jedoch wahrscheinlich so viele Mandate verschaffen, daß sie ungefähr in der bisherigen Stärke im Reichstage sitzen werden. Die Zahl ihrer Stimmen hat ferner an mehreren Orten, in Berlin z. B. gegen 1884 um mehr als 20 000, zugenommen, nnd man darf dieses Wachstnm als eins der charakteristischen Merkmale der Wahlen vom 21. Februar bezeichnen. Es ist die Schattenseite derselben, wenn man sich er­innert, welchen Wust vvu Abgeschmacktheiten die Blumcnlese aus der Schrift Bebels enthielt, welche vor einiger Zeit im Reichstage von der Ministerbcmk mitgeteilt wurde, und weun man damit die Thatsache zusammenhält, daß im deutschen Reiche Hunderttausende einfältig und leichtgläubig genug sind, den damals dem Gelächter aller Verständigen preisgegebenen Blödsinn wie ein Evangelium zu betrachten. Einen komischen Beigeschmack bekommt diese Er­scheinung noch durch die Möglichkeit, daß die Stichwahlen die Vertretung unsrer Seestädte Leuten von diesem Schlage iu die Häude spicleu. Männer, die Sach­verständige ersten Ranges auf dem Gebiete des deutscheu Welthandels sind, erscheinen im Besitze ihrer Mandate ernstlich gefährdet. An ihre Stelle können leicht ein Schneider und ein Schulmeister treten, während Hamburg bereits sich des Segens erfreut, zur Wahrnchmnng seiner maritimen Interessen einen Drechsler und einen Buchdrucker, beide aus dem Binnenlaude, gewählt zu sehen. Kiel wird vermutlich durch einen Herrn, dessen pathetische Professorcnweisheit nichts von Kolonien hören mag, Dcmzig dnrch einen Eisenbnhndirektor a. D. vertreten werden. Am Ende erleben wir es noch, daß der Schiffskoch, welcher in Lübeck in Stichwahl steht, im neuen Reichstage der einzige ist, der einige Erfahrung im Seewesen aufzuweisen hat. In der That, wunderliche Blüten des allgemeinen Stimmrechts!

Trotzdem und trotz mancher andern Erscheinungen bei den Wahlen, die geeignet sind, den Jubel über deren Ausfall herabzustimmcn, ist im ganzen und