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Japanische Künste.
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Japanische Künste,

geführt; vielmehr liebt es der Japaner, gerade jenen Abweichungen vom Schema nachzugehen, welche ihre Gebilde zu malerischen Erscheinungen machen. Ihm ist nicht nur die Symmetrie kein absolutes küustlerisches Bedürfnis, sondern ebensowenig jene Verteilung der Massen, welche in Ermangelung der Symmetrie uns durch ein gewisses Gleichgewicht entschädigt. Und wie er solcherart in der Anordnung des Ornaments so oft nud scheinbar absichtlich gegen das verstößt, was wir Gesehmäßigkeit nennen, so bildet er die Blume, das Blatt, die Nanke, das Insekt, den Vogel?e, nicht so, wie sie sein sollten, sondern wie sie wirklich sind. Der japanische Maler bekundet dabei eine Schärfe der Beobachtung, eine so feine Empfindung für alle charakteristischen Einzelheiten, wie sie wohl nur bei einem Volke gefunden werden kann, welches mit den noch ungeschwächten Sinnen des Naturvolkes die entwickeltste Fähigkeit, seine Eindrücke wiederzugeben, vereinigt. Mit den Augeu des Jägers belauscht er die Waldbcwohner in jedem Moment ihres häuslichen nnd ihres öffentlichen Lebens, wenn ich so sagen darf, und mit sicherer Künstlerhand hält er jede Bewegung, jede Wendung fest. Für die europäische Kunst z, B. existirt für die Darstellung des Fliegens, wie für das Laufen eines Vicrfüßlers n, s. w, gewöhnlich nur sozusagen die mittlere Diagonale, derjenige Moment, in welchem durch den Übergang aus einer Be­wegung der Flügel oder der Füße in eine andre ein Augenblick des Beharrens eintritt, welcher sich als Eriuneruugsbitd bei uus festsetzt: der Japaner fixirt die verschiedenste» Stadien der Bewegung wie der Photograph in einem Augeu- blicköbilde. Mit ebenso bewundernswerter Virtuosität geht er auf die Eigenart jeder Pslauze ein.

Mithin ist er ein Naturalist? Auch diese Frage kauu nicht einfach bejaht werden, da er nicht darauf ausgeht, die Pflanzen und Tiere, mit denen er die Flächen verziert, aus der Ebene heraustreten, den Schein der Körperlichkeit anuehmeu zu lassen. Ob er sie ans Porzellan oder Lack malt, sie in Email ausführt, mit Silbcrdrähten in Metall einlegt oder auf Seide stickt nie übertreibt er die Charakteristik bis zu einem Grade der Naturtreue, welcher auf Täuschung abzielte.

Diese seine freiere Behandlung des Ornaments ist es nun, was allgemein Anklang findet, und wollten wir dieselbe für unzulässig erklären, weil sie aller­dings über die von unsrer Theorie gezogenen Schranken hinausgreift, so würde sich von allen Seiten Widerspruch erheben. Das Publikum würde prvtestireu, welches jede Abwechslung willkommen heißt, und nicht minder die Industrie, welche sich keine Gelegenheit entgehen lassen will und kann, dem Verlangen nach Abwechslung zu genügen. Und wir dürfen auch mit gutem Gewissen einige Konzessionen machen, da es sich unr um den Buchstabe«, nicht um den Geist unsers ästhetischen Gesetzbuches handelt. Und dieses Gesetzbuch selbst ist ja nicht von allem Anfang an dagewesen, sondern ein Produkt vou Jahr­tausenden des Schaffens und Schaucns, vou Wandlungen, die durch die Be-