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Das Jubliäum des Kaisers.
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Das Jubiläum des Kaisers.

berufen sind, eine hochbedeutsame Rolle zu spielen, und auf welche die Augeu ihres Volkes noch nach Jahrhunderten als auf politische Wohlthäter dankbar zurückblicken. Er ist nicht wie Friedrich der Große, dessen Erfolge die seinen verdunkeln, sein eigner Minister und Feldherr. Er besitzt nicht die Gaben seines verewigten Bruders: dessen Geist und Witz, dessen hohe Bildung und dessen feines Verständnis für das Schöne, dessen Liebe zu den Künsten. Die Nach­welt wird ihn nicht als Mücen zu rühmen haben. Aber er trat ans Staats­ruder mit andern Anlagen und Charakterzügen, und zwar gerade mit denen, welche die Lage der deutschen Dinge von einem preußischen Könige damals vor allen andern verlangte. Preußen war unter seinem Vorgänger in die Reihe der Verfassungsstaaten eingetreten, und der Liberalismus strebte die dem Lande verliehene Konstitution so zu deuten und zu erweitern, daß mit ihr das parla­mentarische System zur Geltung gebracht sein sollte, diejenige Negierungsform, nach welcher der Schwerpunkt der staatlichen Macht in die Volksvertretung verlegt ist und der Monarch gegenüber der wechselnden Mehrheit der von den Parteien der Bevölkerung gewählten Abgeordneten nicht viel mehr Bedeutung als die einer mit Gvldtinte geschriebn«» Null hat. Der oberste Träger der Staatsgewalt sollte zum bloßen abstrakten Begriffe, zu einem stummen Ver­treter des monarchischen Prinzips gemacht werden. Er sollte nichts als ein Sanktionirnngsapparat sein, aufgestellt zu dem Zwecke, die uach den Ansichten und Absichten der Majorität des Abgeordnetenhauses geschaffnen Gesetze sür die Praxis einzuweihen. Er sollte diese Gesetze nur durch Minister aus der Mitte jener Majorität ausführen dürfen und gehalten sein, diese seine obersten Räte zu verabschieden, wenn die Majorität direkt oder indirekt erklärte, dieselben hätten ihr Vertrauen nicht mehr. Dieses aus Frankreich importirte Streben nach Verflüchtigung der königlichen Gewalt hatte keinerlei Anknüpfung iu der preußischen Verfassung, keinerlei Wurzeln in der deutscheu Geschichte, es beruhte auf einer Doktrin, die in der Lnft stand, und es würde, wenn es Erfolg gehabt hätte, die Aufgabe, vor welche Preußen durch die Entwicklnug dev deutschen Verhältnisse gestellt war, zur Unmöglichkeit gemacht haben. Deutschland, mit seiner Zerrissenheit zwischen zwei großen, nacb Er­weiterung ihres Einflusses und Besitzes begehrenden Militärstaaten gelegen, mußte um Preußen geeinigt werden, und es war Gefahr in, Verzüge. Schon tauchte am Gesichtskreise das Schreckensbild eines Schicksals wie das der Teilung Polens auf. Nur ein lebendiges, festes, in seiner Freiheit einzig durch den Wortlaut der Verfassung beschränktes Königtum in Preußen konnte die Einrichtung schaffen und zunächst vorbereiten, welche vor solchem Schicksale bewahrte. Ein nach dem Muster des fremdländischen Parlamen­tarismus gelähmter und beengter preußischer Monarch hätte dieses Problem niemals zu lösen vermocht, und wenn anderseits zu jenem Zwecke an eine Rück­kehr zum Absolutismus gedacht werden durste, so erwies diese sich bei genauer