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Sollen wir unsre Statuen bemalen?
sondern benachteiligen einander in der ästhetischen Wirkung; dies ist das Ergebnis unsrer auf rein physiologischer Grundlage gemachten Beobachtung, auf die auch Herder seine originelle Betrachtungsweise der „Bildhauerkunst für das Gefühl"") gründet, welche iu alle seine ästhetische» Ansichten hinüberspielt, leider aber auch mit diesen einer uuverdieuten Vergessenheit anheimgefallen zu sein scheint. Zugleich sei auf einen höchst lesenswerten Aufsatz des bekcmnteu Berliner Psychologen Lazarus über „Die Vermischung und Zusammenwirkn»«, der Künste" im Deutschen Kunstblatt von 1854 hingewiesen, in dem der feinsinnige Beobachter sich über die Aufgaben der Skulptur und der Malerei folgendermaßen ansspricht: „Die Aufgabe der Skulptur ist es, körperliche Gestalten zn bilden, so bestimmt, so genau und sicher und individuell, daß sie den Schein lebender Gestalten erwecken; ideal angesehen, daß man in der innern Anschauung die Farbe, welche allein das volle Leben bezeichnet, nicht entbehrt; die Aufgabe der Malerei: die flüchtige Erscheinung des Lebens, die wechselnde Farbe, die Umrisse und >diej Oberfläche, worauf es sich spiegelt, so zu fesseln, so vollendet wiederzugeben, daß es zum Scheine gestalteten Lebens wird, ideal betrachtet, daß man hinter den farbigen Linien den Körper nicht entbehrt. Sollten mm aber beide Künste sich vereinigen und etwa mit Lebensfarbe bemalte Statueu darstellen, dann würde» uus alle drei Elemente der natürlichen Anschammgeu gegeben, aber eben dadurch geht der ästhetische Reiz verloren." Dieser Reiz besteht nämlich, fügen wir hinzu, zum größten Teil darin, daß der Phantasie des Beschauers etwas zu thun übrig bleibt. Diese ergänzende Thätigkeit der Phantasie macht wesentlich den ästhetischen Reiz aus, mit ihr fällt auch dieser bei bemalter Skulptur weg.
Indes liebt es die moderne Kunstbetrachtungsweise, den Kunstwerken gegenüber jede abstrakte Voraussetzung fallen zu lasseu, und das einzelne Kunstwerk aus sich und deu Bedingungen seiner Entstehung heraus für stilvoll oder stillos zu erklären. Wir können uns auf diesen Staudpunkt nicht unbedingt stelle», glcmbcu vielmehr mit H. Bruuu (Sitzungsberichte der Münchner Akademie der Wissenschaften, 1884), daß jeder Knnststil im weitesten Sinne bedingt ist durch den schaffenden Künstler, beziehentlich durch die iu ihm zum Ausdruck kommende Gcistesrichtung seiner Zeit, zweitens durch den gewählten Gegenstand der Darstellung und seiue Bestimmung, und durch das Material, welches der Künstler für seine Darstellung gewählt hat. Frage» wir uns mm darnach, ob mau die polychrome Plastik für unsre Zeit „stilvoll" nennen darf?
Die Bewegung zn gunsten mehrfarbiger Skulptur in unsern Tagen ist nicht aus Küustlerkreisen als ein uaturuotweudiges Produkt der künstlerischen Zcit- richtung hervvrgegaugeu, sondern beeinflußt durch knustgelehrte Forschung und die Ergebnisse historischer Betrachtung. Es ist stets ein mißlicher, meist ein
Vnl. seine 1778 erschienene Abhandlung über die Plastik.