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Kleine Chronik vom Reichstage. 3.
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recht dieser Verfassung klar und widerspruchslos aufhebe. Er wolle seinen Eid nicht brechen und wolle ebenso wenig, daß die Preußen der neuen Landesthcile eine verstümmelte, entnervte, entseelte Verfassung erhielten.Was nützte es uns, wenn wir die ganze Welt gewönnen und nähmen Schaden an unserer Ver­fassung?"

Noch vier Redner sprachen; die Abgeordneten Dr. Nse (Hamburg) und Rohden gegen den Entwurf, in dem der Eine die deutschen Verfassungen ermordet, der Andre die deutschen Völker mediatisirt fand, die Abgeord­neten v. Gerber und Wagener für denselben. Der Erstere erkannte die Mängel desselben an, erklärte aber, daß er die Verantwortlichkeit einer princi­piellen Opposition gegen denselben nicht zu übernehmen wage, der Letztere trat in principieller Schärfe für alle seine Theile ein, lehnte jeden Kompromiß und jede Uebergangsbestimmung ab. Prosaisch sei der Entwurf, statt von Grund­rechten, rede er von Eisenbahnen und Telegraphen, statt von Menschenrechten, von dem billigen Transport der Kohlen und Hülsenfrüchte. aber er sei in all seiner Nüchternheit der concrete Nicdcrschlag weltgeschichtlicher Ereignisse, deren Consequenzen die conserVative Partei schon viele Opfer gebracht habe, und denen anch die Liberalen früher oder später folgen müßten, es komme nur darauf an, ob mit gutem oder bösem Willen. Seine Ansführung wiederholte die allbekannten Ansichten der conservativen Partei von dem ^oli tai^ere des Militäretats überhaupt und der Unmöglichkeit einer neuen Verständigung mit 22 selbständige» Regierungen insbesondere; daneben sprach N. zwei bemerkens­werthe Aufforderungen aus, eine an die deutschen Kleinfürstcn, denen er wünschte, daß sie, je länger desto mehr, das Geheimniß einsehen möchten, weshalb ein Lord Palmerston und ein Lord Derby mehr bedeuten als einer von ihnen, die noch immer nicht einsehen wollte», daß ihre wahre Stelle, ihr rechter Platz in dem Oberhause eines großen Gemeinwesens sei, und die andere an die Li­beralen, die er erinnert, daß auch in Preußendie brennenden Leidenschaften früherer Tage in der Uncrmeßlichkcit des allgemeinen Slimmrechts zu erlöschen angefangen haben, daß die große Masse anders denke als die Parteien, die bis­her hinter ihnen gestanden, daß sie nur in zwei Punkten politisch d. b. em­pfindlich sei: im Herzen d. h. in ihren religiösen Interessen und im Magen d. h. in ihrer wirtschaftlichen Lage.

Durch die Fürsorge, welche der Eutwurf den materiellen Interessen zuwende, habe er die Masse in ihrer ganzen Breite und Tiefe bereits ge­wonnen.

11. März. Wer der heutigen Fortsetzung der Generaldebatte beigewohnt hat. wird sich des Gefühls schwerlich entschlagcn können, daß er Momcnle von einer gewissen geschichtlichen Größe erlebt hat, und wer aus eigner Erfahrung noch nicht wußte, wie sich groß angelegte Verhandlungen eines Parlaments