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Ein politischer Prophet des fünfzehnten Jahrhunderts.
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weilig die Kaisermacht die Oberhand gewann, wie dies unter Kart dem Fünften eine Zeit lang geschah, sanken jene reichsständigen Nechtsinstitute alsbald zur Ohnmacht herab und dasReichsregimcnt" ward bekanntlich wieder völlig auf­gehoben; sobald aber die Neichsstände siegten (und das war ja zum Heile des deutschen Geistes das bleibende Resultat der Rcfvrmationskämpfe und des dreißig­jährigen Krieges) ward die Kaisermacht immer mehr zu einem bloßen Schatten herabgedrückt; der westphälische Friede gab diesem Zustande die bleibende völker­rechtliche Weihe und erhielt das Reich in ihm, bis die großen europäischen Er­schütterungen der napoleonischen Zeit auch die leere Form noch zertrümmerten und die einzelnen Bestandtheile des Reichs auch äußerlich als das hinstellten, was sie längst schon geworden waren, als eine Reihe verbündeter selbständiger Staaten ohne einheitliches Oberhaupt.

Wenn also nur der ein Staatsmann zu nennen ist, der seine Pläne den zur Zeit gegebenen Möglichkeiten der Ausführung anpaßt, so ist Cusanus kein Staatsmann gewesen. Denn seine Gedanken eilten seiner Zeit weit voraus. Wenn aber der ein Prophet genannt zu werden verdient, dessen Vorschläge nach Jahrhunderten doch noch zur Geltung und Ausführung kommen, so ist Nikolaus Cusanus ein politischer Prophet im eminenten Sinne, denn seine Gedanken hat das vierte der folgenden Jahrhundertc in wunderbarer Weise er­füllt und ist noch in ihrer Erfüllung begriffen.

Der Grundgedanke, der durch alle Betrachtungen und Vorschläge des Cu­sanus sich hindurchzieht, daß ein gesunder Staatskörper so organisirt sein müsse, daß sei» Leben auf fortlaufender Uebereinstimmung zwischen Negierenden und Negierten und zu diesem Zwecke die Gesetze auf der Zustimmung des Volks, durch dessen erwählte Vertreter ausgesprochen, beruhen, daß den einzelnen Be­standtheilen ihre berechtigte Lebensäußerung und Entwickelung, allen eine fried­liche Ausgleichung der verschiedenen Interessen anstatt einer Bedrückung und Erdrückung der Einen durch die Andern gesichert, das Ganze also von einer wahrhaft innerlichen Concordanz anstatt einer mechanischen Einheit getragen sei; es ist dies derselbe leitende Gedanke, in dessen Verwirklichung bei aller Mannigfaltigkeit im Einzelnen am Ende das ganze Streben unserer modernen Slaatstunst aufgeht.

Der Plan des Cusanus. die vaterländischen Rcchtsgewohnheiten zu sammeln, in ein Gesetzbuch zusammenzufassen und dadurch vor der Ueberfluthung durch das eindringende römische Recht zu schützen, zu damaliger Zeit nicht verstanden noch beachtet, hat erst in diesem Jahrhundert leider zu spät die ver­diente Würdigung gefunden und die Früchte getrieben, die er jetzt noch treiben tonnte.

Der Gedanke des Cusanus ferner, die geistlichen Reichsfürsten ihrer welt­lichen Herrschaft zn entkleiden, ist in den staatlichen Umwälzungen an der Wende