— 102 —
holen. Kein Schwur oder Fluch kam je über seine Lippe». Auch von Aberglauben war er nicht frei; er trug eine Halskette von Heiligen und Madonnen, vor der er großeu Respeet hatte. Bei bedenkliche» Gespräche» Pflegte er das große Muttergottes-Bild seines Zimmers mit dem Gesichte gegen die Wand zu kehren. Bei dieser Gemüthsrichtung und seiner persönlichen Verehrung für den Papst konnten schwere innere Conflicte nicht ausbleiben. Aber es siegte eben stets das Bewußtsein seiner Monarchenpflicht über die Bedenken des Privatmannes, und er bekämpfte das Papstkönigthum, dessen Verderblichkeit sür Italien er klar erkannte, mit allen ihm zu Gebote stehenden Waffen, ohne den Fraueu, Beichtvätern und dein heiligen Vater selbst den geringsten Einfluß auf seine Entschlüsse zu gestatten.
„Voller Geradheit, Muth uud unbestechlicher Redlichkeit," so schildert ihn uns der berühmte Dichter Manzoni, „sucht er Rnhm und Glück nicht für sich, sondern nur für das Vaterland. In Einfachheit stets sich gleich bleibend, ohne sich darum zu bemühen, groß zu scheinen, ist er natürlich, weil er wahr ist." Von unerschütterlicher Konsequenz und Energie, zäh und ausdauernd in seinen Entschlüssen wie in seinen Gesinuuugeu, blieb der König stets sich selbst wie Anderen tren. Das hat ihm jenen anscheinend so bescheidenen und doch so herrlichen uud vielsagenden Beinamen verschafft, mit dem ihn sein Volk bezeichnet hat, uud den ihm die Geschichte bewahren wird: II rs Zalantumric», der König Ehrenmann. Seinen Ministern trat er stets vsfen und ehrlich gegenüber; nie hat er — eine auch in eoustitutiouellen Staateu nicht häufige Erscheinung — fremdeu Einfluß auf die Regierung des Staates neben dem ihrigen, nie eine Camarilla geduldet. Nie hat er das gegebene Wort gebrochen; den Freunden — denn er besaß derselben in der vollsten Bedeutung des Wortes wie selten ein Monarch unter seinen Unterthanen — stand sein Herz wie seine Hand stets offen. Voll begeisterter Vaterlandsliebe, hatte er volles und unerschütterliches Vertranen auf den Sieg der italienischen Sache; aber er hatte auch Glauben an die Freiheit und ein hochherziges Vertrauen zu seiuem Volke. Er verstand es eine seltene Eigenschaft bei Königen —, auch fremde Meinungen neben der eignen gelten zu lassen und zu achten; er besaß eine politische Klugheit, die es ihm möglich machte, alle Elemente zu benutzen, um das vorgesteckte Ziel zu erreichen, ohne ihnen den Weg dahin ängstlich abzustecken und vorzuschreiben; er hatte jenen sichern und klaren Blick, der die rechten Werkzeuge rasch zu finden, die Menschen an ihren Platz zu stellen weiß, und endlich jene geniale Sorglosigkeit gegenüber allen kleineren Schwierigkeiten und Hindernissen, welche so unendlich viel zum Erfolge beiträgt.
Daß der König an den Berathungen seiner Minister persönlich thätigen Antheil nahm, beweist schon das oben angeführte Wort von Cavour. „Er zeigt,"