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Möglichkeit einer normalen Entwickelung der Menschheit neue Stützpunkte darbietet.
Wir halten daher daran fest: das Böse stammt ausschließlich aus der Freiheit, es ist kein Schicksal, dem der Meusch nicht entgehen könnte, es ist seine That, für die er verantwortlich ist. So müssen wir über das Böse urtheilen, wenn wir sein Entstehen in der Menschheit in das Auge fassen. Anders erscheint es uns allerdings, wenn wir, nachdem das Böse geschichtliche Wirklichkeit geworden ist, die Beziehung des Individuums zu demselben zu begreifen suchen. Wenn wir die einzelne sittliche Selbstentscheidung des Menschen als ein für sein inneres Sein indifferentes, nur flüchtige Spuren hinterlassendes Thun betrachten dürften, wenn wir ferner die sittliche Richtung, die der Einzelne einschlägt, als ein die menschliche Gemeinschaft, ihren sittlichen Werth nicht, oder doch wenig berührendes Ereigniß ansehen könnten, müßten wir freilich anders urtheilen. Aber weder dies noch jenes ist der Fall. Jede That, die unter die Norm des Sittengesetzes fällt, übt einen Einfluß auf unsern sittlichen Gesammtzustand aus; wir sind nachher nicht mehr dieselben wie vorher. War unsere Handlung der sittlichen Idee entsprechend, haben wir in ihr diese prinzipiell, wenn auch dies letztere unbewußt, bejaht, so hat unsere Gesinnung eine Richtung auf das Gute erhalten, die das Ausüben desselben für die folgende Zeit erleichtert. Auf der andern Seite: war unsere Handlung der sittlichen Idee widersprechend, haben wir in ihr dieselbe prinzipiell, wenn auch dies letztere unbewußt, verneint, so hat unsere Gesinnung eine Richtung vom Guten weg auf das Böse hin erhalten, welche für die folgende Zeit die Ausübung jenes erschwert, die Vollbringung dieses erleichtert.
Aber noch weiter müssen wir die Spuren unseres Thuns für das sittliche Leben verfolgen; ist dieses doch nicht zu verstehen, ohne daß wir den Zusammenhang uns vergegenwärtigen, in dem es sich mit unserm gesummten Sein, dem geistigen und dem sinnlichen, befindet. Hier stellt sich uns jedoch eine Aufgabe, die sich nur erledigen läßt, indem wir das Wesen des Bösen begrifflich bestimmen.
Die Erkenntniß des Bösen ist an die Erkenntniß des Guten geknüpft, als dessen Widerspruch es sich bildet. Hat das Gute zu seinem Inhalt die Unterordnung des Selbstischen unter das Allgemeine, so das Böse die Unterordnung des Allgemeinen unter das Selbstische. Die entgegengesetzte Stellung dieser beiden Mächte bringt die Differenz zwischen dem Guten und Bösen hervor. Aber diese Differenz kann nicht auf die ethische Sphäre beschränkt bleiben, sie ist von metaphysischer Bedeutung. Denn die Verwirklichung des Guten ist die Bedingung für die Organisirung, für die harmonische Ausgestaltung des menschlichen Lebens; die Ausübung des Bösen ist Hemmung dieses Prozesses, Des-