Beitrag 
Zur Geschichte der deutschen Philosophie.
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der Thatsachen, daß sie in der Verwechselung des Sach- und Erkenntnißgrnndes mit dem Denken des Begriffs auch die Sache zu denken nnd zn setzen meinte. In diese Einseitigkeit riß die Begeisterung über die Entdeckung Kant's, daß alles Wissen ein Prodnct des Geistes sei. Man vergaß, daß das Wissen zwar von einer geistigen Kraft produeirt sei, aber doch nur, weil eiu zu ordnender Stoff gegeben ist. Und diese Einseitigkeit des Vernunftwissens rief dann Ein­schränkungen hervor. Man wies mit größerein Nachdruck wieder auf das in- duetiv Gegebene, auf die Wahrheit der Thatsacheu hin. In der Philosophie machte Schleiermacher dein Vernnnftwissen gegenüber das Gefühl und das in­dividuelle Bewußtsein geltend. Herbart suchte das Räthsel, wie aus der unter­schiedslosen Einheit die Vielheit entstehe, zn vermeiden, dnrch die Annahme realer Wesen und der Methode der Beziehungen. Gegenüber Hegel, welcher wie Aristoteles das theoretische Leben als das göttliche und das praktische als das endliche menschliche hinstellte (447) und so das reine Denken zum Prineip machte, machte Schopenhauer den Willen zum Prineip des Ewigen. Insofern nun der Wille, wie oben erwähnt, ein Problem der neueuropäischen Völker ist' könnte man sagen, der Christenthumverächter Schopeuhauer, iu Opposition gegen Aristoteles-Hegel, belebte ein Problem wieder, das seinen Ursprung grade dem Christenthum verdankt.

In Betreff der Darstellung der einzelne» Systeme muß ich auf das treff­liche Buch selbst verweisen. In unsrer pessimistischen Zeit wird vielleicht Harms'Kritik von Schopenhauer den meisten Zorn erregen; aber mit Unrecht In einem kurzen Kapitel deutet Harms noch knrz auf die Gegensätze der Gegen­wart hin. Zwei Richtungen, sagt er am Schluß, bekämpfen sich; eine theistische und eine atheistische. Letztere nennt er Anthropologismus, weil in ihr der Mensch zum Princip und Endzweck der Natur gemacht ist. Die philosophische Frage der Gegenwart sei, ob dieser Anthropologismus die Philosophie sei oder nicht. Angelegt sei er in Kant's Kritik der reinen Vernunft und enthalten sei er in Hegel's Naturphilosophie. Die Beantwortung dieser Frage hänge mit der Anffassuug von Kant's System zusammen. Harms hofft durch seine abweichende Anffassung vom Wesen der Kant'schen Philosophie, wie durch die Grundlegung zn ihrer Fortbildung einen Beitrag zur Lösung der philosophischen Frage der Gegenwart gegeben zu haben. Und wir hoffen dies auch, wenu das Buch die gebührende Aufnahme findet. Dies aber wünschen wir um so mehr, als an dem Geist der Freiheit, den Harms' Schrift ausathmet, sich die Freude an der deutschen ideale» Philosophie wieder allgemeiner entzünden kann; und diese Philosophie ist es, welche die Freithätigkeit des Denkens und die Selbstgewiß­heit des Thnns ermöglicht nnd begründet.