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Wahrend das nördliche Asien durch kühne Eroberer ans eigenein Interesse, aus Sucht nach Gewinn und Beute, Rußland erschlossen und für dasselbe sogar in Besitz genommen wnrde, war es in Mittelasien die Regierung selbst, welche — abgesehen von den verunglückten Kasakenzngen nach Chiwa — die ersten Schritte zur Besitznahme jener Länder that. Peter der Große rüstete, wie wir gesehen haben, die erste Expedition gegen Chiwa aus. Sie verlief für die Rusfen unglücklich und hat gerade deßhalb direete zwingende Folgen für ein weiteres Vordringen in Mittelasien nicht gehabt. Es war ein Versuch, er mißglückte, und man hatte damals noch keine Veranlassung, diese Scharte wieder auszuwetzen.
Ganz anders aber gestalteten sich die Verhältnisse, als im Jahre 1732 Biron seine Kaiserin bestimmte, die Unterwerfung der mittleren und großen Horde der Kirgisen anzunehmen. Die Aufnahme derselben in den russischen Unterthanenverband, die damit übernommene Verpflichtung, einmal sie zu schützen, daun aber auch — und das hauptsächlich — sie der Regierung in: wahren Sinne des Worts Unterthan zu machen, war der erste verhängnißvolle Schritt, welcher Rußland mit kategorischer Nothwendigkeit von Eroberung zn Eroberung führen sollte.
Freilich begaunen erst 1820 die ersten Versuche, die Fiction des Unterthanenverhältnisses der Kirgiseu zu eiuer Thatsache zu machen. Man schritt — wie wir sahen — zur Anlage von befestigten Punkten, zur Anlage einer „Linie". Der Ausstand der Kirgisen zwang dann zur Ueberschreitung dieser „Linie", zn Expeditionen erst gegen die aufständischen Unterthanen selbst und iu unmittelbarem Znsammenhange damit zu dem Feldzuge gegen Chiwa im Jahre 1839, als der Hauptstütze der Aufständischen.
Das Mißgeschick der Expedition des Generals Perowsski ließ nuumehr das Verfahren ändern: man glaubte in der Anlage von Steppenbefestigungen eine größere Garautie für deu Erfolg zu haben, als in der Ausführung von Expeditionen.
Wo aber die Steppenbefestiguugeu etabliren? Selbstredend an der Grenze des eigenen Gebiets. Da aber in diesen Gegenden — wie ich schon zn zeigen versucht habe — von fest bestimmten Grenzen in keiner Weise die Rede sein kann, so trat an die Stelle der „politischen" die „natürliche" Grenze, ein nicht bloß hier, sondern überall so vager Begriff; — zumal die Festsetzung derselbe» immer mehr oder weniger von der persönlichen Anschauung der gerade in diesen Angelegenheiten maßgebenden Persönlichkeit abhängen mußte. Anfangs der vierziger Jahre hatte — wie bekannt — der General Obrutschew eine entscheidende Stimme. Er war der Ansicht, daß die „natürliche" Grenze des russischen Gebiets am Nordrande jenes Hunger- und Sandsteppen-Gebiets lause,