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Ein Blick auf eine trübe Zeit.
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annähernd ähnlichen Lage befanden, wie die Alt-Livländer um 1360, be­waffnete Hilfe und Befreiung vom Joch der Fremden brachte. Dann aber wurde er unter den wuchtigen Schlägen der gewaltigen Preußen in alle Winde zersprengt und an seine Stelle eine Verfassung gesetzt, die wenn sie auch in vielen Beziehungen Wünsche unbefriedigt ließ, dem Auslande gegen­über doch die Kraft und den Willen zur Geltung kommen ließ, überall die Angehörigen des neuen Reichs in ihren Rechten zu schützen. Freilich giebt es noch welcher Deutsche sollte das nicht wissen und schmerzlich empfinden! eine Stelle auf der Karte Europas, wo ein ganzer achtungswerther Ast des deutschen Stammes von einem kleinen, der Kultur wenig zugänglichen Volke schwer gemißhandelt und seiner Rechte beraubt wird. Aber die sieben- bürgischen Sachsen gehören nicht zum neuen und haben auch nie zum alten deutschen Reiche gehört, und wir können sie um so weniger gegen ihre Peiniger schützen, als sie auf den Schutz ihres eignen deutschen Herrscherhauses angewiesen sind und einen mächtigen Rückhalt an den Stammgenossen be­sitzen, die mit ihnen seit Jahrhunderten staatlich verbunden sind. Giebt das deutsche Oesterreich seine treusten Mitbürger und Blutsverwandten den Frem­den preis, wie kann Deutschland über den Kopf seines Bundesgenossen hin­weg ihnen Beistand leisten? Immerhin können die Herren Magyaren dessen sicher sein, daß der Tag kommen wird, an dem sie die tiefe Verletzung un­seres Nationalgefühls durch ihr schnödes Verfahren in Siebenbürgen noch schwer bereuen werden.

Doch kehren wir zu dem deutschen Tochterlande Livland zurück, indem wir zunächst unserer Genugthuung darüber Ausdruck geben, daß dasselbe uns, zur Zeit wenigstens, keine Sorgen wegen Unterdrückung unserer Stamm­genossen verursacht. Gewichtige baltische Stimmen bekunden, daß die russische Regierung in den letzten Jahren ihre Russifizirungsmaßregeln im wesentlichen eingestellt hat und daß die Balten einerseits ihr gegenüber beruhigt sind, anderseits in ihrem konservativen Sinne und in ihren zurückgebliebenen politischen Anschauungen durch die vielfachen Verletzungen des historischen Rechts und die rasche Auflösung veralteter Formen von Preußen sich lebhaft ab­gestoßen fühlen. Daß manche unter ihnen dennoch die Herrschaft der Frem­den unerträglich finden, ist sehr natürlich. Einen Beleg dafür liefert die Verlegung derDörptschen Zeitung" von Dorpat nach Lübeck, indem ihr Besitzer, Herr W. Gläser, dahin ausgewandert ist und sie nun unter dem TitelLivländischdeutsche Hefte" herausgiebt. Die zwei ersten Hefte liegen uns vor; sie bieten eine ganze Anzahl von Aufsätzen, welche Ereignisse und Charaktere aus der älteren und neueren Geschichte Livlands schildern. Der Ton, in dem sie versaßt sind, ist ein deutsch-patriotischer, der den Russen frei-