284
Opfer empfing. Die Pest war mit ihrem Eintreffen verschwunden, und noch viele Jahre nachher bewirkte die Vertreterin des griechischen Heilgottes hier wunderbare Euren von Kranken und Krüppeln. Ich erwähne noch den von Plinius erwähnten Gebrauch der Römer, Schlangeneier mit vor Gericht zu nehmen.
Die germanische Welt hat die Schlange im Allgemeinen immer als ein böses und verabscheuenswerthes Gewürm angesehen. Doch fehlt es in unsern Volkssagen nicht an Zügen, wo sie in freundlicherem Lichte erscheint, ja in manchen erinnert sie lebhaft daran, daß die Schlange in Rom der gute Hausgeist war. Gehen wir in die älteste Zeit zurück, so begegnen wir in der eddischen Midgardsschlange einem der drei Hauptwidersacher der Asen und einem der drei Urheber des Weltunterganges. Schlangen benagen die Wurzeln der Weltesche Agdrastl. In Nastrand. der nordischen Hölle, „ist der Saal aus Schlangenrücken gewunden, und ihre Gtfttropfen träufeln durch das Getäfel." Mehrfach ist von Schlangenhöfen oder Schlangenthürmen die Rede, in die man gefangene Helden wirft, damit sie umkommen. Wenn Gervasius von Tilbury gewisser Frauen gedenkt, die sich in Schlangen verwandeln können, wo sie dann „eine weiße Binde auf dem Kopfe haben", so spricht er unmittelbar nachher von Wehrwölsen, und in der gleich darauf folgenden Melusinenge- schichte ist die Wahrnehmung des Ritters Raimundus, daß seine Frau iw Bade zur Schlange wird, als keine erfreuliche behandelt. Bei Saxo GraM- maticus dagegen verleiht der Genuß einer Speise, die mit dem zwei schwarzen Schlangen entfließenden Geifer bereitet ist, „alles Wissens Fülle, darunter auch das Verständniß der Stimmen des Naubgethiers und der Heerden." Sigurd versteht, nachdem er vom Fette des gebratenen Drachenherzens geleckt, die Sprache der Vögel. Siegfried macht sich durch ein Bad im Blute des Lindwurms unverwundbar.
' Sehr verschieden sind die Auffassungen der Schlange, welche den noch iw Volksmunde lebenden Sagen, Meinungen und Liedern der alten Zeit zu Grunde liegen. In einem holsteinischen Reime (bei Müllenhoff) sagt der Hartworw (die Blindschleiche) von sich: „Kunn ik hören, kunn ik sehn, bieten wull ik dar en Flintensteen." Ebenso meint man in der Gegend von Meran, daß die Blindschleichen sehr giftig seien und, wenn sie sehen könnten, den Leuten schnurgerade durch den Leib fahren würden. Das Gesicht aber haben sie hier dadurch verloren, daß einst, als die heilige Jungfrau mit dem Christkinde im Grase saß, eine Blindschleiche herzuschlich und sie steche» wollte. Gewisse Leute in Tirol und in Schwaben wissen diese und andere Würmer mittelst eines Segens in ein Feuer zu bannen, aber man muß dabei auf seiner Hut sein; denn wenn unter den Schlangen eine weiße ist. so überspringt sie das Feuer und schießt dem Banner durch den Leib. Schlangen-