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Das Kranzsingen im Mittelalter
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er den Kranz wieder. Auf diese Weise bildeten diese Lieder eine fortlaufende Kette und das junge Volk konnte ihrer nicht müde werden.

Mitunter ging das Kranzstngen direct in den Tanz über. Große Vor­bereitungen waren hierzu nicht nöthig. Geige, Leier, Pfeife, Trommel oder Tambourin fanden sich bald, doch ein gesungenes Lied that ganz dieselben Dienste. Vortänzer und Vortänzerin begannen und die ihnen nachfolgenden Paare wiederholten den Refrain des Liedes. Arm in Arm geschlungen, be­wegten sich dann ganze Reihen, nach dem Takte der Melodie, die Straßen herab und hinauf, schlangen sich um die Brunnen und bildeten auf den Plätzen tanzende, jubelnde Kreise.

Sowohl das Kranzsingen wie diese Tänze sind in ihrer Eigenthümlichkeit längst aus dem Volke verschwunden und nur in Schweden hat sich noch ein Rest hiervon bis auf unsere Tage erhalten. In dem mehr oder minder großen Kreise der Tanzenden steht ein junger Mann oder ein Mädchen und windet einen Blumenkranz. Die Tanzenden singen:

Das Mägdlein steht hier mitten im Tanz Und pflückt sich Nosen wunderfein. Es windet d'raus den schönsten Kranz Wohl für den Herzgeliebten sein".

Das Mädchen setzt darauf einem Burschen den Kranz auf und die andern singen:

Komm' du mein Geliebter her Den ich mir hier ausersah Willst du dies und wohl noch mehr Reich die Hand und sprich ein Ja."

Das Paar tanzt in dem Kreise herum und das Spiel beginnt von Neuem.

Als die Entsittlichung im Mittelalter immer mehr und mehr zunahm, überwucherte sie leider auch diese einfachen, bis dahin nur harmlosen Volks­spiele, wie man sie in ihrer Ursprünglichkeit doch nur nennen konnte. Aus dem Kranzliede wurde ein mit den unsittlichsten Zweideutigkeiten angehäufter wüster Gesang und die Tänze verletzten in ihrer rohen Weise den Anstand dergestalt, daß die Behörden dagegen einschreiten mußten. Eine tief einge­wurzelte Volkssttte ist aber sehr schwer auszurotten. So war es auch hier: Kanzel, Gesetz und Reichstagsbeschlüsse konnten wenig dagegen thun. Die Alten drückten nur zu gern ein Auge zu, ihrer eignen Jugend dabei gedenkend und trotz aller Verbote erhielten sich diese Vergnügungen fast bis in die Neuzeit hinein. Was aber der Kraft des Gesetzes unmöglich wurde zu zer-

') Weinhold, die deutschen Frauen im Mittclalter S. 381.