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wenn Hendschel nicht von Haus aus so behaglich situirt wäre, so würde es uns gar nicht wundern, ihn eines schönen Tages mit Haut und Haar nach England exportirt zu finden, so daß wir seine Zeichnungen nur ä'outremsr beziehen könnten. Aber der Künstler kann glücklicherweise die größte Tugend volkswirtschaftlicher Production in schweren Zeiten üben ohne Schaden zu nehmen. Er kann warten. Er bescheinigt uns das im zweiten Bande seines Skizzenbuchs am deutlichsten durch das letzte Bild „Die Frankfurter Zeil — im Jahre 1862". Welcher Zwischenraum liegt in diesen elf Jahren! Die abscheuliche französische Mode der Crinolines beherrschte allerdings damals so terroristisch den Geschmack unserer Damen wie heute die Pariser Hackenschuhe und die häßliche Faltenstaffage, die als „geraffter Ueberwurf" einen menschlichen Ausdruck gefunden hat, und den Blick auf Theile des Körpers coneentrirt, die von Natur und Kunst nicht zu den idealsten gerechnet waren. Aber wer erkennt dagegen in den beiden flanirenden Lieutenants des Jahres 1862 die Vertreter unseres kriegserprobten Offizierkorps? Der Künstler spricht allerdings die gewaltige Zeit, die seither vornehmlich unser Kriegsheer durchlebt hat, auch in beredter Weise aus in dem bewegenden Bilde „Letzter Dank"; ein Landwehrmann führt mit schon halbgebrochenem Auge die Hand der treuen Pflegerin mit dem Genfer Kreuz noch einmal an die erstarrenden Lippen.
Wer die reiche Sammlung studirt, wird zweifelhaft sein, ob er dem Ernst oder dem Humor des Künstlers höheres Lob zuerkennen soll. Es kommt dabei wesentlich auf das Temperament des Beschauenden an. Der Künstler trägt die Begabung zu beiden Genres in gleichem Maße in sich. Und auch in die scheinbar düstersten Motive mischt sich die Heiterkeit seines Sinnes. So in dem fleißigen Bilde „Mädchen am Grabe". Hier überwindet die kindliche Freude an den Blumen des Lenzes, welche die Kleine mit lächelndem Munde zum Kranze flicht, vollständig den furchtbaren Ernst ihres Aufenthaltes; vielleicht hat sie der Gram um Vater oder Mutter hierher geführt, sie sitzt auf der Rasenhülle, unter der ihr Liebstes den ewigen Schlaf schläft — und dennoch, die flüchtige Blume, die, einmal gebrochen, auch für immer dahin ist, sie genügt, um ihren Kummer in Freude zu verwandeln — „und der Lebende hat Recht", singt Schiller. Das versöhnende Moment, das hier die jugendfrische Natur bietet, haben wir auf dem Blatte „Die Wallfahrt nach Kevlaar" dem starken Glauben zu verdanken. Die leibhaftige Mutter Gottes, im jungfräulichen Strahlenkranze — eine echt deutsche Maria, frei von allen französischen Wallfahrtsschnörkeleien — streckt segnend und heilend die Rechte über den friedlich schlummernden Kranken, während seine Gattin auf dem Sorgenstuhl zur Linken, ihr Haupt nahe dem seinen, der Uebermacht des Schlafes gleichfalls erlegen ist. Dann rechnen wir unter die ernsteren Blätter den trefflich studirten „kleinen Italiener" mit seinem großen edeln Heimweh