Karl V.^)
Von
Wilhelm Maurenbrecher. I.
Wenn wir bei Persönlichkeiten derselben fürstlichen Familie gewisse politische Charakterzüge und Eigenthümlichkeiten als fortwährend wiederkehrende bemerken, so reden wir von einer specifischen Hauspolitik, einer specifischen dynastischen Tradition dieses Hauses. Und in der That, von den größeren Dynastien, welche uns die Geschichte des modernen Europa auf der Weltbühne vorführt, stellt eine jede eine gewisse Familien-Individualität dar: in der Art und Weise der Behandlung politischer Fragen, in der Wahl und Benutzung von Personen und Mitteln, in den Zielen und Zwecken, die sie verfolgen, haben die Fürsten desselben Hauses gewisse gemeinsame Züge, gewisse mehr instinctive als freiwillig gewählte Ähnlichkeiten. So wird niemand den nationalen Absolutismus der Tudors, den Eigensinn „von Gottes Gnaden" der Stuarts in den einzelnen Gliedern des Hauses verkennen; so reden wir von einem ganz specifischen selbstherrlichen, aufgeblasenen und Prunkenden Sinn der Bourbons, der den tüchtigen und untüchtigen Gliedern dieser Familie gleichmäßig eignet. So dürfen wir auch von dem Herrscherhause der Hohenzollern einen allen gemeinsamen Charakterzug aussagen, der, wenige traurige Persönlichkeiten abgerechnet, bei allen sich stark ausgeprägt findet, — das ihnen eigenthümliche Staatsgefühl, das die fürstliche Person ganz und voll mit dem Interesse ihres Staates identisch werden läßt.
Fast in noch höherem Grade sind wir befugt, von einer eigenthümlichen Familienpolitik des Hauses Habsburg zu sprechen. Wie im Aeußeren eine gewisse Ähnlichkeit durch die Jahrhunderte hindurch ihnen bewahrt geblieben ist, so ist es auch unmöglich, in dem Auftreten und in den Charakteren der einzelnen Fürsten etwas Typisches zu verkennen. Ja, der eigenthümliche Familienzug ist hier ein so starker, daß wir fast berechtigt sind, auch in
") Vortrag, gehalten zum Besten des akademischen Prämienfonds im Saale des Junker- hoses am 2t. November 1871 zu Königsberg in Preußen.
Grenzboten II. 1872. 46