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Deutsche Staatsmänner und Abgeordnete : Ludwig Bamberger.
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die Polen gezupfte Charpie an der Grenze confiscirt hatten. Die Marseil­laise und das Polenlied waren unsere Volkshymnen, denen das Hambacher Fest noch als drittes und viertes die Lieder beifügte:

Bayerland, in's Gewehr, Ludwig der gilt nichts mehr."

und

Fürsten zum Land hinaus, Jetzt geht's zum Völkerschmaus!"

So sah es in dem Kopfe eines begabten deutschen Knaben aus um das Jahr 1830. Ja, was noch weit schlimmer ist: in dem Kopfe Derer, die sich damals für die Gebildetsten und Fortgeschrittensten hielten und es theilweise auch wirk­lich waren. Die große Mehrheit hing mit bewunderndem Beifall an den heimathlosen Schmähungen Börne's wider Deutschland und die Deutschen. Die Zeit und Männer der Freiheitskriege zu verhöhnen, galt für das Zeichen hoher politischer Weisheit. Und der Hessen-Darmstädter und Rheinhesse theilte nicht einmal die naive Glückseligkeit, welche damals fast allenStaa­ten" Südwestdeutschlands blühte: denVerfassungskampf" und die großen Verhandlungen der beiden Kammern des engeren Vaterlandes für die an­brechende Morgenröthe einer schönern Zukunft halten zu dürfen. Denn hier wurde keineswegs um unveräußerliche Menschenrechte und andere höchste Ideale des Erdkreises gestritten, sondern umlumpige" zwei Millionen- Gulden, welche der 1830 Großherzog gewordene Ludwig II. als Prinz an Schulden contra- hirt hatte, und welche die getreuen Stände mit Nichten zahlen wollten. Dieser Beschluß und ein Protest gegen die Bundesbeschlüsse von 1832 bildeten die äußerste Kraftanstrengung der Opposition in Hessen. Bereits 1834, nach einer zweimaligen Kammerauflösung erlangte die Regierung eine unterwürfige Majorität. An welchen ganz anderen Thaten und Bestrebungen, Charakter­bildern und Gütern der Nation kann das heutige heranwachsende Geschlecht Maß und Urtheil und Begeisterung für unsere öffentlichen Verhältnisse ge­winnen!

Ludwig Bamberger bezog 1842, also in einem für die damalige Zeit un­gewöhnlich reifem Alter die Landesuniversität Gießen. Seine Kinder- und Schuljahre hatten keine besonderen Talente verrathen. Dagegen lenkte er in den mittleren Classen des Gymnasiums, als er 14 13 Jahre zählte, zuerst die Aufmerksamkeit und das Lob der Lehrer auf sich durch die Originalität und Fruchtbarkeit seiner halb kindlichen, halb, ernsthaften- Schnftstellerei, welche Gelegenheitsstücke, Knittelverse und Schulaufsätze nach Lust und Laune mit Leichtigkeit schuf. Gleichzeitig erwachte in ihm der Sinn zu beschaulichem Eingehen in das innere Denkleben; immer mächtiger erwuchs ihm das Be­dürfniß nach religiöser und philosophischer Erkenntniß, das er als einen sehr