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Die neuesten Gorgänge in Oestreich.
Die östreichische Monarchie oder zunächst deren cisleithanische Hälfte befindet sich wieder in einer jener Verfassungskrisen, welche das chronische Erbtheil des dortigen Staatswesens geworden sind, seitdem der Versuch, eine Verfassung auf diesem Boden Wurzel schlagen zu lassen, ins Leben getreten. Wir hören viel, daß gegenwärtig die Unterdrückung des deutschen Elementes auf dem Plane stehe und daß dieselbe der eigentliche Inhalt des gegen die Decemberverfassung von 1867 unternommenen Feldzuges sei. Wir Deutsche im Reich, die wir als Nachbarn schon, dann aber als die Verbündeten während einer Reihe von Jahrhunderten ein tiefgehendes Interesse an Oestreich nehmen müssen, ganz abgesehen davon, daß ein Theil der dortigen Bevölkerung unseres Blutes ist und an den besten Eigenschaften unseres Wesens Theil nimmt, wir Deutsche im Reich haben dennoch alle Ursache, den Dingen, die sich dort begeben, auf den Grund zu sehen und uns von keinem Schein irre führen zu lassen, wäre es auch ein solcher, der warm zu unserem Herzen und seinen Sympathien spräche.
Also die deutsche Bevölkerung in Oestreich soll unterdrückt, soll womöglich entnationalisirt werden! Und wer sind die Unterdrücker? Sind es etwa die sämmtlichen nichtdeutschen Nationalitäten Oestreichs, die sich verschworen haben, die deutsche Bevölkerung als Heloten unter sich zu theilen? Oder ist es eine einzelne dieser Nationalitäten, die sich Gesammtöstreichs bemächtigen und ihm ihren Stempel aufdrücken will? Dies sind doch alles Dinge, deren Undenkbarkeit auf der Hand liegt.
Also wer ist der Feind der Decemberverfassung und der Deutschen? Der Feind sind die Träger des altöstreichischen Staatswesens: Adel und Klerus,- Jesuiten und Cavaliere. Ein kosmopolitischer Feind, wie man sieht, und nicht ein nationaler. Und ein Feind, sollte man denken, nicht einer einzelnen Nationalität, also auch nicht der deutschen, sondern des liberalen Elementes in allen Nationalitäten, der Feind des Liberalismus und des Bürgerthums, dessen politische Wirksamkeit der Liberalismus bedeutet. Wie kommt es, daß dieser Feind in der heutigen Zeit, wo der Kampf gegen Verfassungen und den politischen Einfluß des Bürgerthums im Staat fast zu den Verschollenheiten gehört, in Oestreich einen neuen Anlauf nimmt? Wie kommt es, daß Oestreichs Klerus und Magnaten das ungeberdige Racegefühl der slawischen Bevölkerungen Oestreichs sich zum Werkzeug wählen? Denn so ist es, es braucht nur gesagt zu werden, um unwidersprechlich zu sein: Die nationalen Narrheiten der slawischen Bevölkerungen vermöchten in Oestreich nichts, wenn diese Bevölkerungen nicht als Handlanger von einer geschicktem und