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unter dem Gesichtspunkt des Staatszweckes nach Maßgabe des Staatsrechts der bestehenden Gesetze. Er bedarf also nicht nur nicht zur Bearbeitung der religiösen Angelegenheiten, soweit sie in seinen Bereich fallen, eines confessionellen Organes, ein solches scheint vielmehr der staatlichen Wahrnehmung des religiösen Gebietes geradezu hinderlich sein zu müssen. Dieser Gedanke ist so einleuchtend, daß man sich fragt, warum die Aufhebung der gesonderten Abtheilungen nicht schon längst stattgefunden hat. Der „Staatsanzeiger" weist auf zwei Gründe hin. Erstlich auf die Erledigung einer Reihe Geschäfte, welche die katholische Kirche ausschließlich angingen, und zweitens auf den Umstand, daß auf dem Boden der protestantischen Kirche eine klare Sonderung der staatlichen und kirchlichen Gerechtsame sich noch nicht vollzogen hat. Jene die katholische Kirche ausschließlich betreffenden Angelegenheiten sind dem „Staatsanzeiger" zu Folge nunmehr erledigt, und die Trennung der kirchlichen und staatlichen Gerechtsame auf dem Boden der protestantischen Kirche soll durch die Aufhebung der gesonderten Abtheilungen einen neuen Sporn erhalten, und bildet eine der nächsten Aufgaben des Regiments in Staat und Kirche.
So im Wesentlichen der „Staatsanzeiger". Demnach haben wir also baldige Schritte vielleicht in Form von Gesetzvorlagen zu erwarten, welche die Trennung der protestantischen kirchlichen Organe von den Staatsorganen weiter durchführen. Damit tritt die Verfassungsfrage der protestantischen Kirche wieder in den Vordergrund. Sogar officiöse Stimmen haben sich nicht abweisend verhalten gegen die Möglichkeit, daß die kirchlichen Angelegenheiten aller Konfessionen künftig dem Justizministerium überwiesen werden könnten, weil der Staat nur nach staatsrechtlichen Gesichtspunkten zu diesen Angelegenheiten ferner in Beziehung zu treten habe. Das sind Dinge wie man sieht, von der außerordentlichsten Tragweite. Die Herstellung der rechten Verfassung für die evangelische Kirche ist die stärkste Vertheidigungswaffe gegen den Ultramontanismus, die es aus deutschen Boden geben kann. Ja man kann die Erwartung hegen, daß der Protestantismus, wenn er seine richtige Verfassung in Deutschland findet, eine innere Regeneration erfährt, welche seine Lebenskraft in der ganzen Welt in unberechenbarer Weise anfacht.
Doch glaube ich, wird es für alle nationalgesinnten Theile gut sein, für's Erste nur die Folgen ins Auge zu fassen, welche die Aufhebung der besonderen katholischen Abtheilung gegenüber dem Ultramontanismus haben wird.
Eigentlich ist es ein althergebrachter Grundsatz des preußischen Staats, den man bis aus den großen Kurfürsten, wenn nicht noch weiter, zurückdatiren kann, daß der Staat die kirchlichen Dinge nur von feinem umfassenden recht« lich politischen Standpunkt, nicht aber von irgend einem oder gar von mehreren confessionellen Standpunkten gleichzeitig zu behandeln hat. Dieser echt Grenzboten II. 1871. 30