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Ludwig von Mühlenfels : als Gefangener der Stadtvoigtei in Berlin : (1819-1920).
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sogenannten Amt-Mühlenhofc) führte, und welch-' man gewöhnlich erst nach 10 Uhr Abends verschloß, zugeschlagen und verschlossen wurde. Während ich hei mir überlegte, was zu thun sei. ward jedoch auf das Klopfen eines Poli­zeisergeanten, der eingelassen zu werden verlangte, die Pforte wieder geöffnet und zu meinem Glücke nicht auf der Stelle wieder verschloss?»; nun eilte ich rasch und behende die Treppe hinunter, schlüpfte unbemerkt durch die-Pforte auf den Hof und entkam, ohne von der auf dem Hofe vor meinem Fenster aufge­stellten Schildwache angerufen zu werden, glücklich auf die Straße. Nach den ersten 100 Schritten füblte ich, daß ich durch die siebenvierteljäbrige Entbehrung frischer Luft zu schwach geworden war. um eine längere Reise zu Fuß, wie ich anfangs beabsichtigte, machen zu können. Ich entschloß mich also kurz, geradezu auf die Post zu gehn und Extrapostpferde auf die Straße nach Anclam zu for­dern. Der Postmeister verlangte von mir einen Paß, den ich nicht hatte. Dahingegen zeigte ich ihm eine alte Studentenmatritul, die auf den Namen Bergling lautete, zu meiner Legitimation vor, worauf ich Pferde und Wagen erhielt. Vor meiner Abreise stärkte ich mich in einer »abgelegenen Restauration für meine Reise, stieg dann in den Wagen und war innerhalb vier Stunden in Oranienburg. Um der Möglichkeit des Eingeholtwerdens vorzubeugen, verlangte ' ich in Oranienberg Courierpferdc zum Reiten, die mir nicht verweigert wurden. Gestärkt von der frischen freien Luft, die magisch auf die Zunahme meiner Kräfte wirkte, und begeistert von dem hohen Freiheitsgefühl, legte ich hinnen 17 Stunden 27 Meilen, den Aufenthalt auf den verschiedenen Stationen mit eingerechnet, glücklich zurück. Die Ufer der Ostsee hatte ich wahrscheinlich schon erreicht, bevor der Polizeibehörde meine Flucht aus dem Gefängnisse angezeigt werden konnte. In einem Fischerdorfe an der Küste überredete ich einen alten Seemann, mich in einem Fischerboote übers Meer zu schaffen. Der Wind war günstig, keine Zeit zu verlieren; in kurzer Zeit stachen wir in See mit unserm kleinen Fahrzeug, dessen Besatzung aus drei Personen, dem Alten, seinem siebzehn­jährigen Sohne und mir, bestand. Zwar hatte ich in der Eile mich weder ge­hörig mit Lebensmitteln noch mit Kleidungsstücken wider die rauhe Seeluft versorgen können, doch war es mir empfindlicher, daß uns ein Compaß fehlte, der uns um so unentbehrlicher war, als der Schiffer nie auf der Küste gewesen war, wohin ich gedachte. Wir mußten uns also auf unser Glück und des Himmels Sterne verlassen. Gnem andern Ucbelstande, der uns bemerklich wurde, als die Wellen höher gingen, dem Mangel an Ballast, wodurch das Boot dem Spiel der Wellen zu sehr ausgesetzt war, halfen wir dadurch ab, das wir an einer Sandbank so viel Sand in das Boot einnahmen, als dem Schiffer zurei­chend schien. Schon am ersten Abend erblickten wir Land. Der Schiffer, ent- ' weder weil er meiner so bald als möglich los zu sein wünschte, oder weil er es nicht besser wußte, behauptete, das sei die schwedische Küste, und wollte dort