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Napoleon III. und die Stimmung in Deutschland.
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durch Preußen ist er militärisch mit Hoffnung auf gründlichen Erfolg an­zugreifen, nur Deutschland kann unter Umständen seiner Macht siegreich so gegenübertreten, daß die Quellen seiner Existenz untergraben werden. All­gemein ist bei uns diese Ueberzeugung, und Niemand fühlt tiefer, als der Deutsche selbst, daß es ein schwerer Kampf sein wird, und daß der Gegner uns vorher großes Leid zufügen kann und vielfach unsere unselige politische Zerfahrenheit für sich ausbeuten. Aber ebenso sicher lebt die Empfindung in Millionen, daß der Arm und noch mehr das Herz der Deutschen zuletzt zu einem Siege führen werden, der eine gründliche Beseitigung einschließt sowol der Gefahren, welche durch ihn drohen, als der innern Schäden, unter denen wir leiden.

Doch welches Recht hat der Deutsche zu solcher Voraussicht? wo ist die Organisation, welche stark genug ist, der geschlossenen Einheit Frank­reichs siegreich zu widerstehen? Der deutsche Bund, das lockere Band, welches die divergirenden Interessen zahlreicher Dynastien zusammenhalten soll, erscheint in seiner Uneinigkeit als das System deutscher Ohnmacht. Der größte deutsche Staat, Preußen, ist zu fast allen Bundesregierungen in einer Stellung, die man beinahe eine feindliche nennen kann. Noch im vorigen Jahre während des italienischen Krieges galt es jeder Regierung, auch Preußen, für selbstverständlich, daß zum Vortheil Oestreichs die Bundespflichten erfüllt werden müßten; es ist keine unbegründete Annahme, daß jetzt, im Jahr 1860, Oestreich nicht daran denken würde, seine Bundespslicht zu erfüllen, wenn preußisches Bundesgebiet am Rhein angegriffen werden sollte. Zu einer Verbindung Preußens mit andern Staaten, ist gegenwärtig noch geringe Aussicht; zu einer Verbindung nämlich, welche deutscher Politik diente. Weit geöffnet sind Frankreichs und Nußlands Arme für eine neue Triplcallianz, aber eine solche Allianz wäre gegen England und Deutschlands Interessen gerichtet, sie würde Preußen vom Main bis über die Eider vergrößern, aber sie dürfte Deutschland die Rheinpfalz kosten und das protestantische und constitutionelle England tödtlich beschädigen. Für die Po­litik aber, welche der gegenwärtigen Regierung Preußens patriotisch erscheint, würde Rußland, selbst in finanziellen und socialen Nöthen, sich im besten Fall in zweiter Linie halten und etwa mit freundschaftlicher Reserve die deutschen Ost­seeprovinzen besetzen. Die Stellung Dünemarks und des scandinavischen Nor­dens ist kaum mehr zweideutig. Und in England hat ein festes Bündniß mit Preußen zwar zahlreiche Freunde, aber die wärmsten gehören einer Partei an, welche in andern Fragen zu unpopulär ist, als daß sie jetzt schon eine dauerhafte und starke Herrschaft zu hoffen hätte. Die Häupter der Whigs haben dem guten Einvernehmen mit Napoleon bereits so viel geopfert, daß schwer zu sagen ist, wo sie innehalten werden.

So ist Deutschland ohne Hoffnung auf große Allianzen. Es besteht