Jahrgang 
1914
Seite
120
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Freilich: das Publikum will es so und weil es massenhaft zu solchen Schaustellungen, die keinem höheren Interesse der Kunst und der Wissen­schaft dienen, laust und sein Geld hinträgt, deshalb kann und muß man ja diese ArtKünstler", dieseSpezialitäten" so hoch bezahlen, sobald sie nur etwas über das bisher Gesehene hinausgehen. Sie tragen oft genug daher ihr Leben zu Markte, und man glaubt wohl deshalb Ursache und Berechtigung zu ihrer hohen Entlohnung zu haben. Aber welchem Lebensgut dient es, daß sie ihr Leben in die Schanze schlagen? Sollen wir sie deshalb hoch schätzen, weil sie das Leben für ein Nichts, für die Schaulust des lieben Publikums hinzuwerfen bereit sind? Ist das Leben nicht so wertvoll, daß man sich fragen soll, wofür man es opfert?

Der Mensch im Masseninstinkt, der Operetten und Possen alberner Art, Schund und Spektakel höher schätzt als seelische und intellektuelle Erhebung! Diese Gxerettengassenhauer ich rede nicht von den hüb­schen feineren Sachen, von Strauß und Anderen und von den Volks­liedern sind das Elendeste, was es gibt. Ich erfuhr jüngst von einem ganz blöden Kind, das so verblödet war, daß es nicht einmal seinen Namen wußte. Aber dieLiebeslaube" konnte es singen, undPuxp- chen, mein Augenstern" auch.

wiederum muß ich betonen: der Operette besserer Richtung kann man durchaus Daseinsberechtigung zusprechen. Aber ihre Überernährung, ihre Verschlechterung, ihre in der Menge ganz gewaltige Hochschätzung sind ein Zeichen unserer verkehrten Bewertung. Man begründet diese Bewertung meist damit, daß die nervöse Aufreibung, die das moderne arbeitsame Leben mit sich bringt, für den Abend heitere Erholung, kitzelnde Nervenansxannung fordert. Es soll nicht geleugnet werden, daß das bis zu einem gewissen Grade seine Berechtigung hat, und es soll auch nicht geleugnet werden, daß man die heitere Muse in möglichst voll­kommener Gestalt zu sehen und zu hören wünscht. Aber das gibt noch keine genügende ethische Begründung dafür ab, daß man nun auch berechtigt sei, Oxerettendiva und Varietekomiker so sehr viel höher zu bezahlen als den Durchschnitt der ernsten darstellenden Künstler. Den ethischen" Grund sage ich. Der wirtschaftlich-juristische liegt ja ziem­lich klar vor Augen. Es ist das Gesetz des Umsatznutzens und der Mul­tiplikation. Je mehr Menschen für eine Sache ihr Geld locker haben, umsomehr verdient der Unternehmer an der Sache. Je mehr Menschen das Metropoltheater besuchen, umsomehr kommt da ein, und um so höher können da die Gagen sein. Aber der ethische Grund? Sollte es nicht zu denken geben, daß man da einen Ausgleich zu schaffen versuchte, wie ihn Fritzi Massary in ihrem schönen Entschluß, einen Prozentanteil ihrer Einnahmen für die Armen zu geben, gefühlt und in die Tat umgesetzt hat?