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Dr. R. Rüge.
Epidemiologie.
Infolge unserer noch sehr lückenhaften Kenntnisse über die Erreger der Amöbenruhr ist es zur Zeit noch nicht möglich, eine einigermaßen befriedigende Darstellung der Epidemiologie der Amöbenruhr zu geben. Ich muß mich vielmehr darauf beschränken, die vorliegenden spärlichen Angaben zusammenzufassen. Wird doch noch jetzt von vielen Seiten der Ruhramöbe jede krankmachende Eigenschaft abgesprochen. Dazu kommt, daß wir über die Widerstandsfähigkeit der Dauerform der Ruhramöben außerhalb des menschlichen Körpers noch sehr wenig wissen. Und doch ist es gerade diese Form, die unter natürlichen Verhältnissen, d. h. bei der Übertragung per os allein in Frage kommt. Denn die vegetativen Formen der Ruhramöbe, die sich außer im Darm, gelegentlich noch in den Leberabszessen finden, und nach Durchbruch eines solchen in die Lunge, auch einmal mit dem Sputum ausgeworfen werden können, gehen, sobald sie ihren Wirt verlassen haben, rasch zugrunde, kommen also für eine Infektion unter natürlichen Verhältnissen nicht in Betracht.
Nun wissen wir durch die Untersuchungen von Schaudinn, daß Dauerformen der Ruhramöbe erst dann im Stuhle auftreten, wenn die Entwicklungsbedingungen für die Amöbe im Darme ungünstig werden, d. h. wenn die Krankheit sich anschickt, auszuheilen oder wenn die Krankheit chronisch geworden ist. Daraus folgt also, daß die Ausleerungen der Amöbenruhrkranken nur in bestimmten Krankheitsstadien infektiös sind. Aus diesem Umstande ließe sich vielleicht das epidemiologische Verhalten — sporadisches Auftreten — erklären.
Wichtig wäre es natürlich, wenn wir uns eine A T orsteliung darüber machen könnten, ob die Amöbenruhr — entgegen dem umgekehrten Verhalten der Bazillenruhr — häufiger durch Wasser übertragen wird. Ließe sich diese Übertragungsweise feststellen, so könnten die in Bd. II. S. 274 erwähnten Widersprüche vielleicht gelöst werden.
Die nachfolgende Beobachtung ist vielleicht imstande, etwas Licht auf die Verbreitungsweise der Amöbenruhr zu werfen. Nach den Berichten Buchanan’s und Rogers’ herrscht in den indischen Gefängnissen jahraus jahrein die Ruhr in hohem Grade und zwar die Bazillenruhr. Die Amöbenruhr fehlt aber ganz. Wenigstens hatte Rogers aus dem großen Ruhrmaterial des Ilughli Jail keinen einzigen Sektionsbefund von Amöbenruhr. Nun hat dieses indische Gefängnis eine ausgezeichnete Wasserversorgung, die so gut ist, daß die Anwohner sich dieses Wasser kaufen und trinken. Diese Anwohner leiden aber nicht unter der Ruhr.
Aus diesen Angaben kann man also schließen: Eine gute Wasserversorgung schließt die Amöbenruhr aus.
Ob aber umgekehrt geschlossen werden darf, daß schlechtes Wasser die Amöbenruhr verbreitet, bleibt trotzdem fraglich. Zugegeben muß diese Möglichkeit jedenfalls werden. Für diese Annahme spricht, daß in Gegenden, in denen die Amöbenruhr weit verbreitet ist, wie z. B. in Java nach Anlage guter Wasserleitungen die Morbidität der Gesamtruhr erheblich abgenommen hat. Man könnte also das Sinken der Ruhrmorbidität in diesen Gegenden darauf zurückführen, daß durch die gute Wasserversorgung die Amöben rühr ausgeschaltet und dadurch ein Sinken der Morbidität der Gesamtruhr bedingt würde. Dieser Annahme treten aber de Haan und Kiewiet de Jonge entgegen. Nach ihrer Meinung ist die Zahl der guten Brunnen, die seit Ende der 50 er Jahre in Java angelegt worden sind, viel zu klein, als daß sie das auffallende Abnehmen der Ruhr in Java (73% Amöbenruhr) erklären könnte.