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I)r. R. Rüge.
Zeit brach sich auch die Ansicht Bahn, daß der epidemischen Dysenterie der gemäßigten Breiten eine andere Ursache zugrunde liege, als der Dysenterie der Tropen und Subtropen, und daß die Dysenterie dieser letzteren Gegenden wohl durch Amöben hervorgerufen würde. Es gelang indes nicht, infolge der oben angedeuteten Schwierigkeiten, diese Frage nach der einen oder der anderen Seite hin zu entscheiden, bis die Arbeiten von Siiiga, Kruse, Pfuhl, Sciimidecke, Drigalski, Lentz und Martini einerseits, sowie von Jürgens und Schaudinn andererseits diese Frage endgültig lösten.
Wenn wir nun die Arbeiten der einzelnen Autoren, entsprechend den vier Gruppen, einer kurzen Besprechung unterziehen, so finden wir — I. Gruppe — im Jahre 1879 Gbassi mit der Amöbenfrage beschäftigt. Er entdeckte, daß die Amöben Dauerformen in Gestalt von Cysten bilden. Er erkennt ihnen aber deshalb pathogene Eigenschaften irgendwelcher Art nicht zu, weil er Amöben sowohl bei Darmkranken als auch bei Darmgesunden fand. Auf demselben Standpunkte steht Cunningham, der 1881 in Indien sowohl bei Gesunden als auch bei Cholerakranken Amöben im Stuhl fand. Dasselbe gilt von Perroncito und Massjutin, die Amöben nicht nur bei Ruhr, sondern auch bei Typhus und gewöhnlichen Durchfällen fanden. Dock hielt die von ihm bei Dysenterie beobachteten Amöben deshalb nicht für pathogen, weil sie in vier Fällen, in denen die dysenterischen Erscheinungen fehlten, auch vorhanden waren. Er änderte aber später seine Ansicht, wie wir noch sehen werden. Auch Maggiora lehnte ebenso wie Schuberg jede pathogene Bedeutung der Amöben ab. Letzterer, der 1893 ein umfassendes Referat über die Amöbenfrage schrieb, sagt, daß nichts dazu berechtigte, die im menschlichen Darm gefundenen Amöben für pathogen anzusehen. Calandruccio sprach ihnen deshalb die Pathogenität ab, weil er selbst encystierte Amöben verschluckt hatte, und später in seinen Fäces die vegetativen Amöben nachweisen konnte, ohne an Ruhr erkrankt zu sein. In ähnlicher Weise sprachen sich Celm und Fiocca aus, und Gasser schloß sich ihnen an, weil er nur in 50°/ 0 der von ihm untersuchten Dysenteriefälle Amöben fand, die Amöben bei Dysenterie also nicht beständig vorkamen, er andererseits aber auch bei Gesunden Amöben antraf und bei Katzen nach Einspritzung von Gartenerde in’s Rektum Colitis erzeugen konnte. Casagrandi und Barbagallo beobachteten Amöben sowohl bei Typhus als auch sporadischer Dysenterie und leugnen daher ebenfalls die Pathogenität. Die Tatsache, daß Katzen nach Einbringen von dysenteriehaltigen Fäces in’s Rektum an Dysenterie erkranken können, schreiben sie nicht den Amöben, sondern dem Umstand zu, daß die zugleich mit eingeführten Bakterien den Amöben den Boden vorbereiten. Sorgo hingegen lehnte die Pathogenität der im Stuhl bei Enteritis vorkommenden Amöben deshalb ab, w T eil er auch nach Injektion von nicht amöbenhaltigem dysenterischen Stuhl dysenterische Erscheinungen folgen sah. Auch Römer ist sehr geneigt, die Amöben als harmlose Schmarotzer anzusehen, die bei der Dysenterie lediglich die Gelegenheit zu starker Vermehrung finden.
II. Gruppe. Diejenigen Autoren, die glauben, daß die Amöben allein nicht imstande wären, Dysenterie zu erzeugen, sondern dazu der Mitwirkung von Bakterien bedürften, beginnen mit Baumgarten 1890. Es schließen sich ihm an Wesener, der 1892 auf Grund des Studiums der damals vorliegenden Literatur zu dem Schluß kam, daß die Amöben die Zerstörung im Darm wohl einleiteten, die Bakterien sie aber fortsetzten. Zu einem ganz ähnlichen Schluß kam 1892 auch Kovacs. Vivaldi 1893, Babes und Zigura 1895, Boas 1896, Borchardt 1896 und Peyrot und Roger 1896 stimmen ebenfalls mit dieser Anschauung überein. Ihnen schließt sich 1897 Janowski an, der in einem umfassenden Sammelreferate den damaligen Stand der Dysenterieätiologie erörtert. Er ist der Meinung, daß die gewöhnliche Dysenterie wahrscheinlich durch das Zusammenwirken irgend einer Bakterienassoziation, die Tropendysenterie aber, die sich in klinischer und anatomischer Beziehung unterscheidet, durch die Assoziation einer bestimmten Amöbenspezies mit Bakterien hervorgerufen wird.
III. Gruppe. Andere Forscher hingegen und zwar R. Koch an der Spitze traten für die Pathogenität der Amöben ein. R, Koch, der 1883 in Ägypten seine Untersuchungen machte und in den tieferen Darmschichten die Amöben fand, sieht in dem