Deutsche Schulen, Vereine deutscher ^ebrer.
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werden außerdem hervorgerufen durch Regengüsse oder andere Naturereignisse, die bei den großen Entfernungen besonders hinderlich zu werden pflegen. An andern Orten, wo die Verhältnisfe nicht so ungünstig liegen, sind nicht selten Hemmungen ganz anderer Natur eingetreten: einmal war es bloßer Konkurrenzneid, ein andermal der Gegensatz zwischen Konsessionsschule und konfessionsloser Schule, die die Kräfte der Schulinteresfenten zersplitterten. Verhältnismäßig am höchsten stehen von den Pikadenschulen noch diejenigen, in denen der Unterricht vom Pfarrer, selbst wenn dieser ein Pseudopsarrer ist, erteilt wird.
Wie mangelhaft immerhin die Schulverhältnisse in den Urwaldkolonien sein mögen, so wird man doch stets anerkennen müssen, daß die Kolonisten überhaupt zur Gründung von Schulen geschritten sind und allen Schwierigkeiten zum Trotz wenigstens sür die allerelementarste geistige Ausbildung ihrer Kinder Sorge getragen haben. Allerdings scheinen trotzdem viele Abkömmlinge der Eingewanderten lesens- und schreibensunkundig geblieben zu sein.^) Daß die Kolonisten in ihren Schulbestrebungen von der brasilianischen Regieruug uiemals unterstützt worden sind, ist für die Erhaltung deutscher Art von ungemeiner Tragweite gewesen: die deutschen Bauern sahen sich hier in der Regel nicht wie anderswo so oft in die Versuchung geführt, die Ausbildung ihrer Kinder billigeren Regierungsschulen zu überlassen; wo eine solche Versuchung auch in Brasilien an die eingewanderten Deutschen herangetreten ist, sind sie ihr nicht selten erlegen. Denn die eifrigen Schulgründungen der Regieruug, iu deren Schulen wohl das Französische, nicht aber das Deutsche einen Platz hat, haben ja zum Teil geradezu den Zweck, die deutschen Bevölkerungselemente zu entnationalisieren; viel deutlicher noch ist diese Absicht natürlich mit der Einrichtung derjenigen Konkurrenzanstalten verbunden, die ausdrücklich sür die Kolonistenkinder bestimmt sind.
Doch genug, um zu zeigen, mit welchen Schwierigkeiten und welchen Ge- scchren das deutsche Schulwesen in Brasilien zu kämpsen hatte und noch hat; die jüngste Entwicklung hat einen lebhasten Ausschwung gezeitigt nnd bemerkenswerte Bestrebungen zur Hebung der vielfachen Mißstände hervorgerufen; am bedeutendsten in dieser Hinsicht ist wohl die Begründung von Vereinen deutscher Lehrer gewesen. Verbänden wie sie in Australien und andern Gebieten schon seit längerer Zeit bestehen; die ersten Gründungen waren konfessioneller Natur; es schlössen sich zunächst (26. März 1898) die katholischen Lehrer von Rio Grande do Sul zu dem „Katholischen Lehrer- und Erziehuugsverein Rio Grande do Sul" zusammen, und drei Jahre später (September 1901) bildete sich das natürliche Supplement dazu in dem Verein der evangelischen Lehrer Rio Grande do Suls. Eine ähnliche, aber interkonfessionelle Organisation ist im Staate Sa. Catharina der seit 1900 bestehende „Deutsche Lehrer- und Schulverein der Kolonie Blumenau".2) Diese Vereine arbeiten nicht nur auf eine Besserung der materiellen Lage der Lehrer hin, sie erstreben neben einer allmählichen Reform des Unterrichtsbetriebes vor allem auch eine Erhöhung des moralischen Ansehens des Lehrerstandes, und sie wissen, daß es, wenn dies Ziel erreicht werden soll, vor allem daraus ankommt, das weitere Eindringen unlauterer Elemente zu verhindern.
Ueber die Gesamtzahl der Schulen gibt es natürlich genaue Angaben nicht; man schätzt sie sür Rio Grande do Sul auf 700, für ganz Brasilien auf etwa 1000.
Die meisten Anstalten sind kleine einklassige Volksschulen, mit selten mehr als 30 Kindern; gehobene Volksschulen oder Mittelschulen bestehen nur in wenigen
') Im Rechenschaftsbericht des Vizegouverneurs von'Sa. Catharina vom Jmn i!)03 wird für diesen Staat bei einer Gesamtbevölkerung von 321 294 die Zahl der Analphabeten auf 240 855 angegeben!
") Genauere Angaben im I. Anhang zum Adreßbuch im zweiten Teil. Vgl, auch die Zusammenstellung bei H. Amrhein, Die deutsche Schule im Auslande. Leip-,u^!"'^