Bei Rosa Luxemburg lernten sie Nationalökonomie - Helene Schweida und Wilhelm Kaisen 1913/1914 auf der Parteischule in Berlin
Eine Zeitreise' Von Hartmut Müller
Bremen, Dienstag, der 30. September 1913. Hauptbahnhol, Gleis 3. Es ist noch ganz Irüh und Irisch am Morgen. Am Waggon 3. Klasse verabschiedet sich Helene Schweida von ihrem Vater Anton. Gleich beginnt die Morgenschicht bei der Firma Schmalleldt & Co., in deren sozialdemokratischer Buchhandlung Anton Schweida beschäftigt ist. Die »Bremer Bürgerzeitung« muss rechtzeitig ausgeliefert werden. Für längere Zeit wird er nun seine Tochter Helene nicht mehr sehen. Im Sommer war ein Brief vom Parteivorstand aus Berlin eingetroffen, in dem Helene Schweida für die Teilnahme am Winterkursus der Parteischule zugelassen worden war 1 . Der Vorstand des Sozialdemokratischen Vereins in Bremen und die Parteileitung des Bezirks Nordwest hatten sie vorgeschlagen, der Parteivorstand und die Leitung der Parteischule in Berlin hatten geprüft und nun hatte das Bremer Gesuch um Aufnahme Berücksichtigung gefunden. Die Bewerber sollten keine Neulinge in der Partei sein, hatte es aus Berlin geheißen, sondern »den nicht geringen Ansprüchen an Fleiß, Eifer, Intelligenz und guten Willen genügen«. Und Helene Schweida ist durchaus kein Neuling in der Partei 2 . Seit 1907 hat sie sich in der Partei engagiert, zunächst noch in der Arbeiterjugend, und dann ein Jahr später als ordentliches Mitglied, nachdem Frauen auf Grund des neuen Reichsvereins- gesetztes von 1908 die Mitgliedschaft in politischen Vereinen erlaubt worden ist. Mit 23 Jahren war sie bereits als Beisitzerin in den Vorstand des Sozialdemokratischen Vereins Bremen gewählt worden. Hier kümmert sie sich vor allem um die
* Für die Drucklegung überarbeitetes Manuskript der Kaisen-Lesung vom 22. Mai 2003 in der Dokumentationsstätte Wilhelm Kaisen - Kaisen Scheune in Bremen Borgfeld. In dem im Staatsarchiv Bremen verwahrten Nachlass Bürgermeister Wilhelm Kaisens befinden sich u.a. die Kolleghefte, d.h. die Mit- und Nachschriften, die Wilhelm Kaisen und Helene Schweida während ihres Besuchs der Parteischule der SPD in Berlin vom 1.10.1913 bis zum 31.3.1914 geführt haben. Sie haben zu der »Zeitreise« nach Berlin angeregt. Die einzelnen Stationen und Inhalte der Zeitreise entsprechen der von beiden erlebten und dokumentierten Realität. Einiges aus dem Alltag in Berlin, das aus damaligen Tageszeitungen entnommen wurde, ist dem in freier Ergänzung hinzugefügt worden.
1 Ein gleich lautender Brief befindet sich in einer Sammelmappe zur Geschichte der Parteischule im Archiv der sozialen Demokratie, (FES) Bonn. Die eigentlichen Akten der Parteischule sind nach 1933 verloren gegangen.
2 Vgl. Renate Meyer-Braun, Helene Kaisen, in: Hannelore Cyrus, Bremer Frauen von A-Z, Bremen 1991, S. 312.
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