Männerwelt einer Großwerft einzutreten. Man wird sicher annehmen können, dass die hier vorgestellten Frauen keine absoluten Ausnahmeerscheinungen unter weiblichen Schweißern darstellen, jedenfalls nicht unter denen, die lange Jahre als Schweißerin auf dem Vulkan gearbeitet haben. Viele der etwa 250 Frauen - deutschen wie ausländischen -, die zwischen 1963 und 1973 dort ihre Stelle als Schweißerin angetreten haben, sind offenbar nach kurzer Zeit wieder verschwunden. Zwar war die Motivation der hier vorgestellten ehemaligen Schweißerinnen keine besondere: gutes Geld und eine für ihre individuelle Situation günstige Arbeitszeit. Doch von ihrer Persönlichkeitsstruktur her wiesen sie einige Besonderheiten auf: Sie mussten eine gehörige Portion Mut und Selbstvertrauen mitbringen und keine Angst haben, als »Exotin« oder als »Mannweib« von ihrer Umgebung belächelt oder gar abqualifiziert zu werden. Sie hatten alle keine technischen Vorkenntnisse, aber waren aufgeschlossen für Neues, auch für Technisches. Sie schienen äußerlich nicht besonders prädestiniert für diesen Beruf zu sein, waren zum Teil sogar ausgesprochen zierlich, aber waren »hart im Nehmen« und körperlich belastbar, auch wenn letztlich keine ohne gesundheitliche Schäden davonkam. Trotz der harten Arbeitsbedingungen mochten sie ihre Arbeit, hätten sie aber keineswegs ihren Töchtern als berufliche Perspektive empfohlen. Sie suchten keine Abenteuer, auch wenn manche Werftmänner sich das wohl gar nicht anders vorstellen konnten. Die Interviewpartnerinnen lebten in der Regel in festen Beziehungen oder gingen solche ein. Ihre Ehemänner akzeptierten die ungewöhnlichen Tätigkeiten ihrer Frauen und unterstützten sie.
Von voller Integration in den Arbeitsalltag der Werft kann jedoch trotz anders lautender Äußerungen der hier vorgestellten Frauen nicht die Rede sein. Dazu blieben sie allein wegen ihrer geringen Zahl mit nicht mehr als 4-5% der Belegschaft doch zu randständig. Dies auch deshalb, weil viele von ihnen Teilzeit arbeiteten und nicht in die außerbetrieblichen Netzwerke integriert waren. Statt zum Umtrunk nach Feierabend mitzugehen, eilten sie nach Arbeitsschluss sofort nach Hause, um die Familienpflichten wahrzunehmen, die trotz allem immer noch mehrheitlich auf ihnen lasteten. Alle sind stolz auf ihre Leistung, die sie als Schweißerinnen vollbracht haben. Sie arbeiteten gelegentlich, das gilt auch für die Türkinnen, sogar schneller und korrekter als ihre männlichen Kollegen. Stolz waren sie vor allem auf ihr Durchhaltevermögen, trotz anfänglicher großer Schwierigkeiten nicht aufgegeben zu haben, sondern jahrelang - zwischen neun und 27 Jahren - auf der Werft gearbeitet zu haben und sich damit vor sich selbst und anderen bewährt zu haben. Sie haben dazu gewonnen: an Selbstvertrauen, an Kompetenz, an Fähigkeit, sich in ungewohnter Umgebung zurecht zu finden, auch an Mut, sich nicht alles gefallen zu lassen.
Zu fragen ist, inwieweit diese Schweißerinnen zum Abbau von Rollenklischees beigetragen haben. Auf jeden Fall fand eine veränderte gegenseitige Wahrnehmung der Geschlechter statt. Männer konnten sehen, wenn sie es denn wollten, dass Frauen nicht hilflose, handwerklich ungeschickte oder gar hilfsbedürftige Wesen sind, auch nicht nur Gegenstand erotischer Wunschträume oder - anderes Extrem - unweibliches »Arbeitspferd«, sondern kompetente und belastbare, ebenbürtige Kolleginnen im Industriebetrieb sein
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