Jahrgang 
Band 92 (2013)
Einzelbild herunterladen
 

3. Die Niederlassungsversuche von Juden im bremischen Umland seit 1782

»In der großen und reichen Handelsstadt Bremen giebt es so viele Gelegen­heit, bieten sich jedem in seinem Gewerbe tüchtigen Mann so viele Hüllsmittel dar, seinen Unterhalt zu erwerben, daß schon längst der Wunsch in mir auf- stieg, in deren Gegend wohnen zu dürfen.« 71 Besser als mit diesen Worten lässt sich wohl die Anziehungskraft Bremens auf einen jungen Juden mit dem Ziel, sich selbständig zu etablieren, kaum ausdrücken. Wenn Juden die Niederlassung in einer Handelsmetropole grundsätzlich versagt war oder wenn sie daraus vertrieben worden waren, siedelten sie sich häufig möglichst in der unmittelbaren Nähe der Stadt, aber außerhalb von deren Territorium an. Dafür gibt es in der Frühen Neuzeit eine Reihe von Bespielen, in Norddeutsch­land etwa die Ansiedlung auf dem Moritzberg vor Hildesheim 72 , in Melve­rode vor Braunschweig 73 und im bereits erwähnten Moisling vor Lübeck.

Im Rahmen der langsam voranschreitenden jüdischen Besiedlung des nord­niedersächsischen Binnenlandes hatten sich seit Ende des 17. Jahrhunderts auch Juden im bremischen Umland niederlassen dürfen - beginnend 1695 im damals noch unter dänischer Krone stehenden Delmenhorst. Im Verlauf des 18. Jahrhunderts rückten dann auch die jüdischen Ansiedlungen in den kurhannoverschen Territorien immer näher an Bremen heran; im Herzogtum Bremen von Norden und Südosten, in der Grafschaft Hoya von Süden.

Unter welchen Voraussetzungen wurde die Niederlassung von Juden zuge­lassen? 74 Wenn man nicht, wie in Bremen, grundsätzlich jegliche Niederlas­sung von Juden ablehnte, waren es vor allem wirtschafts- und gesellschafts­politische Argumente, die gegen Ende des 18. Jahrhunderts die Judenpolitik bestimmten; religiöse Bedenken spielten kaum mehr eine Rolle. Bestimmt wurde die Zulassungspolitik für Juden in fast allen Territorien des Alten Reiches durch die unhinterfragte Auffassung, dass »eine gar zu große Anzahl von Juden in einem Lande allemahl von schädlichen Folgen« sei. 75 Bei wirt­schaftlichem Misserfolg »drengt ihnen die harte Noth, Schelmstücke und schlechte Streiche ab, und der District erhält gefährliche Bettler-Familien.« 76 Durch ihre Verarmung als Folge einer ungezügelten Vermehrung 77 sei also das vielbeschworene Gemeinwohl gefährdet.

Entscheidend für die Bereitschaft zur Zulassung war vor allem die den Juden im Wirtschaftsleben zugedachte Rolle: Was konnte man sich von ihren

71 Ezechiel Abraham, 11. Juni 1792; StAB 6,22 -XVI. a.; 6,27-XVI. d.

72 Historisches Handbuch (wie Anm. 12), S. 1065-1071 (Rüdiger Kröger).

73 Ebd., S. 306-308 (Nancy Kratochwill-Gertich).

74 Die spezielle Rolle der jüdischen Hoffaktoren, auch bei der Vermittlung von Niederlassungsmöglichkeiten für andere Juden, wird hier nicht berücksichtigt, da für Bremen und sein engeres Umland irrelevant. Vgl. dagegen für Wildeshausen: Werner Meiners, Geschichte der Juden in Wildeshausen, Oldenburg 1988, S. 29 f.

75 Hier in den Worten der oldenburgischen Kammerräte 1774. Wobei allerdings nie ein klarer Konsens darüber herzustellen war, wann das Maß denn »voll« sei. StAOl Best. 31-2-43 Nr. 5.

76 Olbers, 04.07.1792; StAB 6,22-XVI. a.; 6,27-XVI.d.

77 Den Juden wurde zu dieser Zeit eine überdurchschnittliche Geburtenrate (beson­dere »jüdische Fruchtbarkeit«) unterstellt.

99